Schattenblick →INFOPOOL →UNTERHALTUNG → SPUCKNAPF

SCHLUCKAUF/0094: Politik im Tierversuch - Nachtisch & Satire (SB)


Politik im Tierversuch


In seltener Eintracht haben sich CDU, FDP, SPD und Die Linke über das Projekt eines engagierten Verhaltensforschers empört. Als "Herabwürdigung des Menschen auf Tierniveau" und "unerträgliche Simplifizierung der menschlichen Intelligenz sowie der menschlichen Möglichkeiten zur Selbstkontrolle" verdammten sie das innovative Unterfangen des Wissenschaftlers.

Der mit zahlreichen Forschungspreisen geehrte schwedische Verhaltensforscher Jan Badall hatte sich zunächst folgende Frage gestellt: Jedes Medikament, das ein Pharmaunternehmen auf den Markt bringt, ist vorher in mehr oder weniger großem Umfang an Tieren auf seine Verträglichkeit getestet worden - weshalb sollten daher nicht auch politische Systeme, die mitunter sehr viel mehr Schaden anrichten können als unverträgliche Arzneimittel, an geeigneten Tieren vorgetestet werden? Um dieser Frage nachgehen zu können, pachtete Badall in Tansania ein viele Quadratkilometer großes Nebelwaldgelände, auf dem mehrere Menschenaffenclans beheimatet sind.

Da Menschenaffen innerhalb der eigenen Art sowohl positive menschliche Charaktereigenschaften wie Loyalität, Hilfsbereitschaft, Zärtlichkeit und Fürsorglichkeit zeigen, aber auch zu Handlungen fähig sind wie Vergewaltigungen, Mißhandlungen, Kindstötungen, Kannibalismus und sogar Kriegshandlungen mit regelrechten Ausrottungsfeldzügen, schienen sie Badall geeignet, um anhand ihres Sozialverhaltens die Perspektiven westlicher Industriegesellschaften auszuloten. "Führt eine individuelles Vorteilsstreben belohnende Gesellschaftsform in die totale soziale Degeneration?" lautet die erste Frage, der Badall im Affengruppenversuch nachgehen will. Doch auch die zweite Frage - "Können Aneignungs- und Territorialreflexe zugunsten von Gemeinschaftsgeist erzieherisch reduziert werden?" - ist nicht minder interessant.

Grund für die massive Kritik der eingangs genannten Parteien an dem Projekt könnte sein, daß Schlußfolgerungen wie "Unser kapitalistisches Vorteilsstreben endet in der totalen sozialen Degeneration" oder "Unser Aneignungs- und Territorialverhalten ist weder durch Erziehung noch durch Einsicht wesentlich beeinflußbar" um jeden Preis verhindert werden müssen.

Denn ließen die etablierten Parteien für die eigene Spezies derartige Rückschlüsse zu, wären sie gezwungen, samt und sonders ihre politischen Grundsätze neu zu überdenken. Auf der Basis einer neuen Nüchternheit müßte dann die "Natur" des Menschen, sprich die eigene, stärker als bisher in Überlegungen zu Gesellschaftsformen und Lebensweisen einfließen. Und diese neue Nüchternheit forderte gerade auch von jedem Politiker, sich als das sehen zu können, was er angesichts der gesellschaftlichen (Fehl)entwicklungen sämtlicher bekannter Hochkulturen offbar ist: ein entwurzelter, sich und anderen entfremdeter, verängstigter und frustrierter nackter Affe.

1. Dezember 2011