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SCHLUCKAUF/0141: Tierkundepolitik - Nachtisch & Satire (SB)


Tierkundepolitik



Nur aus Versehen hatte die Grundschullehrerin Rosa Kropotka mit dem Diktafon ihr Telefonat mit der niedersächsischen Schulbehörde aufgezeichnet. Doch da ihr das Gespräch aufschlußreich erschien und nur ihre eigene Stimme zu hören war, sah sie rechtlich kein Problem darin, den in der Tat vielsagenden Mitschnitt der SCHLUCKAUF-Redaktion zwecks Veröffentlichung zur Verfügung zu stellen:

Hallo? Ja, guten Tag, Kropotka, mein Name. Können Sie mich mit dem Lehrplan-Gremium für Grundschulen in Niedersachsen verbinden?

(...)

Ja danke, ich warte. - Kropotka, guten Tag, Frau Stramm-Rechtsgescheit. Ich bin Lehrerin an der Ruck-Zuck-Grundschule in Unrastingen und möchte eine Änderung des Lehrplans beantragen, die mir aus Gründen des Kindeswohls angezeigt erscheint.

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Selbstverständlich habe ich bereits eine schriftliche Eingabe gemacht, aber -

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Sicherlich. Vor einem Vierteljahr. Nein. Habe ich nicht erhalten.

(...)

Im Übrigen bezog sich mein Änderungsvorschlag auf die Themenwahl im Fach Sachkunde. Kategorie Tiere. Weil bereits die Auswahl der zu behandelnden Tiere eine Fixierung auf innerartliche Konkurrenz, auf Wettbewerbsverhalten und Ausgrenzung der Schwächeren als "naturgegeben" darstellt, die den Kindern den permanenten Wettbewerbsstreß -

(...)

Eben nicht. Wissenschaftliche Theorien sind keineswegs wertfrei. Sie spiegeln die gesellschaftlichen Verhältnisse wider. Auch in der Tierkunde wird oft ein "Höher, Schneller, Weiter" suggeriert, zu dem es in der Natur jedoch zahlreiche Gegenbeispiele gibt. Gerade auch für eine entschleunigte Lebensweise. Warum nicht anstelle fleißiger Legehennen beispielsweise das Faultier besprechen, eine sehr alte und geradezu beispielhaft umweltverträglich lebende Tierart. Angefangen bei der Abwertung, die mit dem Namen transportiert werden soll, könnte den Kindern aufgezeigt werden -

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Wie bitte?! Erstmal diszipliniertes Arbeiten lernen? Sie, Frau Stramm-Rechtsgescheit, stehen nicht vor einer Klasse, von der die Hälfte regelmäßig Medikamente bekommt, um die Symptome zu unterdrücken, die durch die permanente Überforderung, den allgegenwärtigen Leistungsdruck -

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Doch. Auch wenn es Tiere sind. Es sind Informationen über die Möglichkeit anderer Lebensentwürfe. Auch was den ökologischen Fußabdruck angeht. Es kann die Kinder inspirieren, Fragen zu stellen. Einfache Fragen. Kann man sein ganzes Leben an einem Ort verbringen? Warum können wir nicht von Nahrungsmitteln leben, die in der Nähe erreichbar sind? Ist es nicht erstrebenswerter, mit seiner Umgebung zusammenzuarbeiten als sie auszuplündern?

(...)

Fressen auch nur die Bäume kahl? Nein, nie. Sie brauchen im Verhältnis zu ihrer Größe nur sehr wenig Nahrung. Außerdem leben sie als eine der ganz wenigen Säugetierarten in Symbiose mit einer Pflanze, einer Flechte, die sich in ihrem Fell ansiedelt und die sie in der Baumkrone nahezu unsichtbar macht. Das ist wissenschaftlich -

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Was heißt hier zum Faulenzen animieren?! Was hat dieses friedfertige, genügsame Tier mit den wirtschaftlichen Verwertungsinteressen zu tun, denen Sie sich offenbar verschrieben haben und denen scharenweise Kinder geopfert werden?

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Natürlich sind Sie nicht persönlich an allem schuld! Aber Sie verteidigen hier vehement die althergebrachten Denkmuster. Und ich bin es als Lehrerin nun einmal leid, meinen Schülern von nützlichen Kühen und arbeitsamen Pferden zu erzählen, die ihr Los als versklavte Wesen wacker akzeptieren. So, wie die Kinder es später auch tun sollen, nicht wahr?

(...)

Schön wär's. Aber die Auswahl ist keineswegs frei. Warum sonst kennt in Deutschland kaum ein Kind den Tocororo, den kubanischen Nationalvogel, der in Gefangenschaft nicht leben kann und daher zum Symbol für den kubanischen Freiheitsdrang geworden ist? Oder das vietnamesische Waldrind, das als Tierart erst 1992 von der Wissenschaft entdeckt wurde, weil es ebenfalls den Tod der Gefangenschaft vorzieht und daher als Haustier nie von Interesse war?

(...)

Halten Sie als Thema in der Grundschule für völlig unangebracht? Gut. Dann vergessen Sie, was ich bisher gesagt habe und lassen Sie mich einen alternativen Vorschlag machen, der Ihnen bestimmt bedeutend besser gefällt, Frau Stramm-Rechtsgescheit. Schlagen Sie dem Gremium für den nächsten Lehrplan als Arbeitsthema doch die Sklavenhalterameise Protomognathus americanus vor. Die überfällt die Kolonien anderer Arten, raubt deren Larven und setzt sie, sobald sie geschlüpft sind, als lebenslange Arbeiter im eigenen Nest ein. Das ist doch ein aus Ihrer Sicht pädagogisch wertvolles Thema für Grundschüler. Auf Wiederhören, Frau Stramm-Rechtsgescheit, und im Namen meiner Schüler vielen Dank für Ihre Mühe und Ihr Verständnis.

28. März 2014