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BERICHT/067: Das Rußland-Bild der Medien (Freidenker)


Freidenker Nr. 2-07 Juli 2007
Organ des Deutschen Freidenker-Verbandes e.V.

Das Russland-Bild der Medien

Von Klaus Hartmann


Als Gerhard Schröder nach der Bundestagswahl 2005 wieder einen anständigen Beruf (Aufsichtsratsvorsitzender der Betreibergesellschaft der deutsch-russischen Gas-Pipeline) ausübte, rief ihm die Politkonkurrenz erwartungsgemäß Schmähungen nach - der übliche geistlose Klamauk, der in unserer "Demokratie" alle Inhalte und alles Wesentliche vergessen machen soll, von daher eigentlich ein Nichtthema. Wäre da nicht wieder der bekannte, eingeschliffene wie unauffällige Grundton: "Dass die Zusammenarbeit mit einem Konzern wie Gazprom nicht dem Selbstverständnis eines Demokraten entspricht, schon gar nicht dem eines Sozialdemokraten, wird auch in Teilen der SPD gesehen", weiß Der Spiegel vom 13.12.05, denn Gazprom sei "Putins verlängerter Arm", und deshalb, nur deshalb war völlig klar: "Schröder verrubelt seinen Ruf".

Krupp oder Bayer, Siemens, VW oder die Deutsche Bank, das wäre was anderes gewesen, die haben Anstand, für die zu arbeiten, ehrt unseren Schlag von "Demokraten". Die haben sich auch schon ums Vaterland verdient gemacht, sind kriegserfahren, aber ausgerechnet beim Kriegsgegner anzuheuern - 1914, 1941, im Kalten Krieg - und wer weiß...

Wenn die Westmedien über Russland berichten, sind schnell die bekannten Töne wieder da - als wäre der Kalte Krieg noch gar nicht zu Ende. Ist er etwa gar nicht? Am Sozialismus kann es nicht liegen, ökonomisch wurde in Russland auf Kapitalismus geschaltet. Was stört aber den so "alternativlosen" Westkapitalismus mit der einzigen übriggebliebenen Supermacht an der Spitze? Warum geben sie ihren Sprachreglern Direktiven, die sie zu Leistungen anspornen wie: "Gazprom hat für Putin die Vergabe der Olympischen Winterspiele nach Sotschi gekauft". Das ist kein gehässiger Kommentar, sondern die ganz normale objektive Nachricht im Deutschlandfunk, und die seit Jahren und Jahrzehnten abgerichtete öffentliche Meinung findet absolut nichts an der Volksverhetzung auszusetzen. Sie fällt nicht einmal auf.


Das alte Lied auf allen Kanälen

"Die elektronischen Medien sind allesamt in staatlicher Hand. Nur wenige Zeitungen, die nicht die verordnete Meinung wiedergeben, können noch zirkulieren." Wer traut sich, die Wahrheit so ungeschminkt auszusprechen? Es ist 'Die Welt' vom 17.3.2006! Doch gemach, das ist kein Anlass zum Staunen - es geht nicht um die BRD-Realität, sondern: "Lukaschenkos eiserner Griff gilt auch den Medien." Denn ein besonderer Liebling hysterischer Westmedien ist Belarus, dessen Präsident Alexander Lukaschenko ausschließlich als "Diktator" gehandelt wird. Oder, laut 'Glaube aktuell' vom 16.3.2006, als "Sowjetnostalgiker".

Stefan Voß enthüllt für dpa (16.3.2006): Lukaschenko "arbeitete als Politkommissar der sowjetischen Truppen" - da soll dem ungebildeten Leser wohl ein Schauer über den Rücken laufen. Der Bildungsstand des Autors Voß lässt ihn offenbar nicht an den "Kommissarbefehl" der deutschen Faschisten denken, aufgrund dessen beim Überfall auf die Sowjetunion Zehntausende in Gefangenschaft geratene Genossen abgeschlachtet wurden - ein grausames Kriegsverbrechen. Aber Voß, von Kenntnis unbelastet, dichtet weiter: "Lukaschenko nimmt nach Ansicht seiner Gegner mehr und mehr die Züge des Nazi-Diktators Adolf Hitler an."

Soll sich jetzt die Bundeswehrmacht gegen einen Überfall aus Belarus rüsten, müssen sich ihre Politoffiziere besonders in Acht nehmen? Eher soll wohl ein "Regime Change" in Belarus herbei geschrieben werden.

Als Speerspitze der Anti-Lukaschenko-Propaganda in Deutschland geriert sich ausgerechnet die "Deutsch-belarussische Gesellschaft" unter ihrem Vorsitzenden Rainer Lindner - propagandistisch wie organisatorisch zugunsten der "pro-westlichen Opposition" im Land. Lindner wusste bereits vor der Präsidentschaftswahl Mitte März 2006: "Die Wahlen selbst sind im Grunde schon gelaufen. Es ist festgelegt, dass Präsident Alexander Lukaschenko um die 75 Prozent erzielt." (politikerscreen.de, 13.3.2006). Der Insider lag leicht daneben, Lukaschenko gewann mit 82,6 Prozent. Wenn aber angesichts dessen unsere "frei gewählten" West-Politiker noch nicht recht Spuren, müssen die Auftraggeber etwas deutlicher werden. "'Die EU agiert wie ein zahnloser Tiger', kritisiert Cornelius Ochmann, Osteuropa-Experte der Bertelsmann-Stiftung" (Die Welt, 17.3.2006). Viel Hoffnung hat auch das Handelsblatt nicht: "Eine Revolution nach ukrainischem Vorbild schließen die meisten Experten aus. Ein offenbar letztes Mittel vor dem Militärschlag nennt der OSZE-Beobachter Georg Schirmbeck (in der Neuen Osnabrücker Zeitung, 16.3.06): "Lukaschenko könnte ein Fall für Den Haag werden".

Noch ein Demokratieexperte mischte sich in den Wahlkampf:. "Bush hatte zuletzt den US-Kongress über angeblich illegale Waffengeschäfte der belarussischen Führung mit Ländern wie dem Iran und dem Irak informiert und Minsk Unterstützung des weltweiten Terrorismus vorgeworfen." Lukaschenko antwortete, "US-Präsident George W. Bush sei der 'größte Terrorist auf der Welt'" (Der Standard, 19.6.2006). Was die USA neben den engen Beziehungen Belarus' zu Russland besonders übel nimmt, offenbarte der weißrussische Außenminister Sergej Martynow: "Weißrussland legt großen Wert auf seine Beteiligung an der Bewegung der Blockfreien. Wir arbeiten mit allen Mitgliedern dieser Organisation eng zusammen, insbesondere mit Kuba." Höchste Zeit für Nachhilfe in Demokratie, und die kommt vom nächsten ausgewiesenen Experten. "Der amerikanische Vizepräsident Dick Cheney hat dem russischen Präsidenten Wladimir Putin vorgeworfen, Öl und Gas als Druckmittel zur Einschüchterung von Nachbarstaaten eingesetzt zu haben", berichtet die Neue Zürcher Zeitung am 5.5.06 ohne erkennbaren Sinn für die satirische Komik. Sie denkt auch keinen Moment daran, ob der Irak vielleicht lieber eine solche Einschüchterung der Zerstörung durch den Kriegsarchitekten Cheney vorgezogen hätte. Der darf als achtbarer Staatsmann weiterhetzen: "Als 'letzte Diktatur in Europa' geißelte Cheney die politische Situation in Weissrussland", und "Putin habe Energielieferungen gezielt dafür eingesetzt, die Rechte der Menschen in den Nachbarstaaten Russlands auf unangemessene und unfaire Weise zu beschneiden, kritisierte Cheney. Damit sei auch die territoriale Integrität der Nachbarn untergraben worden. Ferner habe Moskau die dortigen demokratischen Bewegungen zu beeinflussen versucht."

Tja, die demokratischen Bewegungen! Erst geben die USA Hunderte Millionen Dollar für "samtene" und "orangene Revolutionen" aus, und das sollen dann Fehlinvestitionen gewesen sein? Demnach gilt auch der Premierminister der Ukraine Viktor Janukowitsch den Westmedien als der "Mann Moskaus" und verdient daher den Titel "tollpatschiger Hüne aus dem Donbass-Revier" (Freitag, 24.3.06), was umso ärgerlicher ist als "der nach der 'Orangenen Revolution' im Herbst 2004 erledigt schien" (Spiegel, 23.3.06). Aber nicht alle Nachrichten sind so ärgerlich:

"Der große Nachbar im Osten hat den Freiheitswillen und die Westorientierung der Balten gründlich unterschätzt. Sie sind wieder in Europa angekommen, doch ihr Weg hin zu einer homogenen Gesellschaft, die in Frieden mit sich lebt, ist noch weit." Mit diesen pathetisch-problembewussten Worten endet der Artikel einer Schneck, Stefanie in der 'Welt' vom 16.8.05. Und welchen Gegenstand krönt sie mit diesem Schlusswort, wie könnte der Lette "Frieden mit sich" machen? Im Bericht über die 'Nationale Front Lettlands' trinkt Schneck mit deren stellvertretenden Vorsitzenden Kaffee, und zitiert sie: "Alle Russen müssen raus aus unserem Lettland. Sie sind eine Gefahr für unsere Nation".

Die Russen machen zwar ein gutes Drittel der Bevölkerung Lettlands aus, aber sie "haben hier keine Daseinsberechtigung". Bemerkenswert, mit welchen Ansichten man "in Europa ankommt", in der NATO-"Wertegemeinschaft" und ihrer Halb-Welt.


Nebenbei enthüllt

Ein anderer Held des Westens hieß Michail Saakaschwili, dessen "Rosen-Revolution" ebenfalls sponsored by USA war. Seit einiger Zeit sammeln neokonservative US-Abgeordnete Unterschriften zwecks schneller NATO-Aufnahme des Landes, um die Beute zu sichern. Hierzulande gehen in Georgiens Dauerstreit mit Russland ehemals sympatisierende Medien allmählich auf Distanz: So wird Saakaschwili inzwischen im Spiegel als "Populist" geschmäht, der "immer mehr als Teil des Problems gesehen" wird.

Doch am gleichen Tag bringt die Georgien-Berichterstattung des Magazins zwei kurze Sätze, die einen Begriff vom westlichen Dilemma mit Russland geben: "Auch die Europäische Union (EU) bemüht sich derzeit um eine ausgeglichenere Partnerschaft mit Russland im Energiebereich. Dabei gelten Bemühungen des russischen Präsidenten Wladimir Putin als hinderlich, den staatlichen Einfluss auf die Branche zu Lasten privatwirtschaftlicher Investitionen aus dem Ausland wieder zu vergrößern." (Der Spiegel, 5.10.06)

Hier haben wir eine Schlüsselformulierung zum Verständnis der Ursachen des Konflikts mit Russland: Vorgänger Jelzins Ruf als Musterdemokrat war durch nichts zu erschüttern, nicht mal durch seinen Schießbefehl auf das gewählte Parlament. Entscheidend war, dass er den Ausverkauf der Reichtümer des Landes an die Westkonzerne und ihre einheimischen Partner betrieb, wobei "Ausverkauf" in vielen Fällen den Sachverhalt nicht traf, handelte es sich doch oft um das pure Verschenken ohne Gegenleistung. Flankiert wurde der ökonomische mit dem Ausverkauf außenpolitischer Interessen, Abrüstungsversprechen aus dem Westen glaubte man gerne, der Ostausdehnung der NATO schaute man zu wie der Stationierung von US-Truppen in vormaligen Sowjetrepubliken, und zum "krönenden Abschluss" ließ man auch noch die NATO-Aggression gegen Jugoslawien 1999 ohne Gegenwehr geschehen.

Als Putin das Steuer herumwarf, wieder einen starken staatlichen Wirtschaftssektor schuf, war das nicht nur ein Verstoß gegen die "neoliberal" genannte Lehre, es war auch das Ende der paradiesischen Zeiten für die westlichen Multis und ihre Selbstbedienung.

Erschwerend kommt hinzu: Nicht nur keine Selbstbedienung mehr, russische Unternehmen gehen jetzt im Westen auf Einkaufstour. Und wie hier schon immer selbstverständlich, versteht auch Moskau, dass wirtschaftliche Macht und politischer Einfluss miteinander eng verknüpft sind. So war das aber nicht abgemacht, mit Jelzin zuvor, und so muss uns die oft schäumende Journaille nicht überraschen.

Der Spiegel online lässt am 11.10.06 einen "Russland-Experten Jörg Himmelreich" erklären, was an der russischen Politik so übel ist: "Derzeit sehen wir in russischen Industriebereichen wie Energie oder der Luft- und Raumfahrtindustrie, die in Moskau als solche von nationaler Bedeutung definiert werden, wie ausländische Investoren wieder enteignet und die Unternehmensteile zurückverstaatlicht werden". Und ausgerechnet in diesem Fall von EADS, in dem sich Sarkozy und Merkel ungeniert als oberste Konzernlenker gerieren, meint der "Experte": "Wo Länder sich mit staatlichen Unternehmen auf Dauer nicht an die Spielregeln des freien Marktes halten" plädiert Himmelreich dafür, den Markt zuzusperren, "wenn Russland aus politischen Intentionen eine Beteiligung zu erwerben versucht, die auch sicherheitspolitische Fragen aufwirft".

Anlässlich Putins Besuch in Dresden im Oktober 2006 zum "Petersburger Dialog" brachten die Überschriften auf stern.de die Probleme schön zusammen: "Kreml-Wirtschaft drängt nach Europa" - "Kreml im Kontrollwahn" - "Russlands Wirtschaft auf Erfolgskurs" - "An Yukos statuierte Russlands Präsident Wladimir Putin bereits ein Exempel für die Großindustrie. Verstärkt nimmt der Kreml Schlüsselbranchen der Wirtschaft unter staatliche Kontrolle" (stern.de, 10.10.06). Und als Zugabe noch die sensationelle Meldung:."Merkel will offen mit Putin sprechen"! Was sie offenbar sonst nie und mit niemandem tut.

Zur Begrüßung in Dresden traten dann der Bundesregierung liebste Demonstranten an, knapp 30 Figuren von Tilman Zülchs "Gesellschaft für völkische Bedrohung" aus dem Milieu der "Vertriebenen"; intonierten zur Freude der Welt (11.10.06) "Mörder, Mörder"-Rufe, und der Vorsitzende gab seine Sorge um die Menschenrechte beim Bundesliga-Club Schalke 04 zu Protokoll: "Es sei zutiefst beschämend, dass der Fußball-Verein Gazprom zum Hauptsponsor gemacht habe. In Putins Auftrag sei das Unternehmen durch Aufkauf maßgeblich an der Gleichschaltung der russischen Medien beteiligt gewesen, sagte Zülch."

Freilich sind Illusionen fehl am Platze, dass sich in Russland irgendwelche "Restbestände von Sozialismus" erhalten hätten oder Putin und Co. wieder einen anstrebten. Aber dass in diesem Land die Westmultis nicht mehr freie Bahn zum Ausschlachten haben, und dass Russland die ökonomische Kraft nutzt, um nicht als bloßes Objekt der "Neuen Weltordner" deren Erfüllungsgehilfe spielen zu müssen, geht den West-Sachverständigen für Freiheit und Demokratie gewaltig gegen den Strich. Und die Linken hierzulande sollten diese Entwicklung in Russland auch im Lichte unserer eigenen innenpolitischen Probleme bewerten: wie ist unsere Position zur Existenz eines starken staatlichen Sektors in der Ökonomie eines kapitalistischen Staates - angesichts des grassierenden "neoliberalen" Privatisierungswahns?


Eine Frage "der Sicherheit"

Während die NATO das Abkommen über Konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE) von 1999 bis heute nicht ratifiziert hat (was Russland 2004 tat), geht durch die Medien ein Wehgeschrei, als Putin das Abkommen aussetzte. Zuerst brach Empörung aus, als Putin bei der Münchner "Sicherheitskonferenz" Klartext redete, und vor neuen US-Raketensystemen in Europa warnte.

In der 'Welt' vom 12.2.2007 meinte Michael Stürmer: "So kalt wie Putin hat lange kein Kreml-Chef mehr gesprochen", und Manfred Quiring ergänzt: "Die Mehrheit der Russen sieht inzwischen in den USA wieder einen Feind. Die Nato ist für sie ein aggressiver Militärblock, der sich, entgegen früherer Zusagen, an die Grenzen ihres Vaterlandes heranschleicht, ehemalige Sowjetrepubliken Russland entfremdet und sie 'widerrechtlich' zu Mitgliedern des Paktes macht." Weiter erfährt man über Putin: "Unmittelbar vor seinem Abflug in drei arabische Staaten bezichtigte er die Vereinigten Staaten in einem Interview mit dem TV-Sender al-Dschasira, sie hätten mit seinem Angriff auf den Irak mehr Tote zu verantworten als der gehenkte Diktator Saddam Hussein." Zur Abrundung des Feinbildes werden die Russen noch als Sympathisanten des Islam entlarvt: "Der Islam, so befand Patriarch Alexij II. kürzlich unter großem Beifall, stehe der russischen orthodoxen Kirche näher als der Katholizismus."

Von Seltenheitswert waren Stimmen wie in der Schwäbischen Zeitung (12.2.07): "Wer Putins Auftritt dennoch als Unverschämtheit empfindet, der mag bedenken, dass der Mann aus Moskau nur gesagt hat, was viele Europäer und auch viele Amerikaner denken. Die Machtpolitik der USA hat die Welt in der Zeit nach dem großen Ost-West-Konflikt nicht friedlicher gemacht. Die Bush-Regierung steht vielmehr vielerorts vor einem teuren, blutigen Scherbenhaufen; nicht nur im Irak und in Afghanistan. Sie hat viele Verbündete in Erklärungsnot gebracht, zum Beispiel die Deutschen, die der Kumpanei bei der Verschleppung von Mitbürgern verdächtigt wurden."

Vor dem sogenannten "G8-Gipfel" von Heiligendamm wurde angesichts russischer Warnungen vor der Gefährdung des KSE-Vertrages bereits das "Scheitern des Gipfels" herbeigeschrieben. Als dann der Vorschlag einer gemeinsamen Raketenabwehrbasis in Aserbeidschan auf den Tisch kam, folgte der Überraschung - Schweigen. Kurz danach wurde, als sei nichts geschehen, über die Konkretisierung der Stationierungspläne der USA in Polen und Tschechien berichtet. Warum der Vorschlag nicht ins US-Konzept passt, analysiert Sergej Guk:

"Das war der Lackmustest für die US-Administration: An ihrer Reaktion auf den russischen Vorschlag, zum Schutz vor den angeblich drohenden iranischen Raketen das Radarsystem im aserbeidschanischen Gabala gemeinsam zu nutzen, musste sich zweifelsfrei ablesen lassen, ob die Sorgen der Amerikaner ernst und ihre Absichten ernst sind. Bekanntlich lassen sich Raketen am Besten beim Start abfangen, wenn sie noch nicht ausweichen können; man braucht also ein Radarsystem möglichst nahe am Iran. Aber die Amerikaner lehnten das Angebot ab. Für ihre Jagd auf fliegende Objekte aus 'Schurkenstaaten' suchen sie sich lieber andere, möglichst unbequeme Positionen aus. Sollten sie solche Objekte erwischen, fallen die Raketenbruchstücke samt Nuklearsprengköpfen eben auf die Köpfe der unter ihrem Schutz stehenden Europäer." (Ossietzky 14/2007)

Rainer Rupp informiert (junge Welt, 16.7.2007) über die dank unserer freien Medien verschwiegene Erklärung Putins zur KSE-Kündigung vom Juni 2007: "'Wir haben alle unsere schweren Waffen aus dem europäischen Teil Rußlands abgezogen und hinter dem Ural stationiert. Wir haben unsere Streitkräfte um 300.000 Mann reduziert. Wir haben mehrere andere Schritte unternommen, die vom AKSE verlangt werden', sagte Putin damals und fragte: 'Aber was haben wir dafür bekommen? Osteuropa erhält neue Waffen, zwei neue Militärbasen werden in Rumänien und Bulgarien errichtet, und es gibt zwei neue Areale für Raketenstarts Während Rußland einseitig abrüstet, wird Europa mit neuen Waffensystemen vollgepumpt. Und natürlich bleibt uns nichts anderes übrig, als besorgt zu sein.'"

Wenn Russland nun seine einseitige Abrüstung beendet, ist unser Außenminister Frankenstein-Meier selbstverständlich in "großer Sorge". Wenn die NATO-Strategen von der "gemeinsamen Sicherheit" reden, ist das nur die Umschreibung der eigenen, unbestrittenen Vorherrschaft. Nur ein schwaches Russland ist ein gutes Russland. Die von Russland propagierte multipolare Weltordnung verträgt sich schlecht mit dem Konzept der "einzigen Supermacht" samt "Vasallen und Tributpflichtigen".

Mit der offenen Propagierung solcher Konzern- und Militärinteressen würde man die Herzen des heimischen Publikums allerdings eher weniger gewinnen und erfreuen. Daher muss auf allen Kanälen mindestens wöchentlich eine neue antirussische Sau durchs Informationsgesellschaftsdorf getrieben werden.


Demokratieheuchler

Politische Morde, Unterdrückung der Pressefreiheit, Verletzung der Menschenrechte - das Arsenal der Vorwürfe, das beim Publikum Eindruck machen soll, ist nicht ganz neu. Es ist bekannt aus den Zeiten, da ein West-Bundeskanzler über die schrecklichen "Soffjets", wie er sich auszudrücken pflegte (Adenauer war Rheinländer), herzog, und im Wahlkampf auf den im Hintergrund lauernden Bolschewik setzte, Parole: "Alle Wege des Marxismus führen nach Moskau"! Das sollte, man glaubt es kaum, außer vor "Kommunisten" auch vor der SPD warnen. Das Plakatmotiv stammt schon aus der Nazi-Propaganda. wurde im Bundestagswahlkampf von Franz-Josef Strauß unter dem Motto "Freiheit statt Sozialismus" wiederbelebt, und tut jetzt wieder "gute Dienste" - als Titelbild des Spiegel. Prof. Dr. Horst Schneider resümierte im Rotfuchs 03-07 in seinem Beitrag "Der Russenhass hat ein Gesicht", dass aus dem Antisowjetismus ein Anti-Putinismus wurde.

Wenn der vormalige Bundeskanzler Gerhard Schröder zu mehr Sachlichkeit mahnt: "Die neunziger Jahre unter Boris Jelzin würden bei uns immer noch gepriesen, dabei hätte damals eine 'Ausplünderung' durch die ökonomischen Eliten stattgefunden. Wäre das so weiter gegangen, dann wäre das Riesenland heute ein 'Failed State'", (Der Spiegel, 18.1.07), dann hält das sogenannte Nachrichtenmagazin dafür die Wertungen bereit: "Putins Musterschüler", "zelebriert der Altkanzler seine neue Rolle als Russlandversteher penetrant", "gelehriger Schüler Putins", "scheint die Verteidigung Wladimir Putins zur Ersatzdroge für Schröder geworden zu sein", "offenbart Schröder, auf wessen Gehaltsliste er inzwischen steht".

Wenn in London im Milieu ehemaliger Agenten, der Gegenspionage und Oligarchen ein Mord geschieht, dann haben die Medien sofort einen Anonymen zur Hand, der bezeugt, das Opfer sei "auf Befehl Putins vergiftet" worden (Der Spiegel, 20.11.06). Wenn Großbritannien die Auslieferung eines Verdächtigen von Russland fordert, und nach Weigerung die Ausweisung russischer Diplomaten verfügt, ist ihm das Verständnis von Bush bis Merkel sicher. Gerade noch "ausgewogen" kam die Überschrift im Neuen Deutschland (18.7.2007): "London und Moskau üben den Kalten Krieg". Im Leserbrief dazu stellte Prof. Dr. Erich Buchholz klar: "Wiederum geht, wie wir es seit 1946 erlebt haben, der 'kalte Krieg' vom Westen aus: Die Forderung Londons auf Auslieferung entbehrt der Rechtsgrundlage und ist politisch eine Provokation. Es gehört zu den elementaren Hoheitsrechten jedes Staates, eigene Staatsbürger nicht auszuliefern. So verbietet Art. 16 Abs. 2 Grundgesetz die Auslieferung Deutscher. Sich gegen eine rechtswidrige Forderung zur Wehr zu setzen, ist rechtmäßig."

"Ich bin etwas besorgt, dass einige Schwierigkeiten hatten, hierher anzureisen." Das teilte unsere Bundeskanzlerin Merkel ihrem Gipfelgesprächspartner Wladimir Putin mit - wollte sie etwa seine Unterstützung gegen ihren tieffliegenden Bundeswehrmachtsminister Jung oder Schäubles entfesselte Truppen? Gott bewahre! Nicht die Demonstranten in Deutschland lagen der deutschen Kanzlerin am Herzen, sondern die in Russland, beim Treffen im Mai 2007 in Samara. Als Präsident Putin erwiderte: "In Hamburg wurden 164 Menschen festgenommen, bei uns nur ganz wenige!", und die Frage stellt, "ob es in Deutschland eine lupenreine Demokratie" gebe, ist der Focus (18.5.07) mit den Nerven am Ende, und versieht das mit der Überschrift "Wütender Präsident kaum zu bremsen" ein.

Wenn in Tallinn ein Denkmal zur Erinnerung an die Befreiung vom Faschismus aus dem Stadtzentrum entfernt und auf einen Soldatenfriedhof verbracht wird, dagegen tagelang Zehntausende demonstrieren, die Polizei gewaltsam gegen die Demonstranten vorgeht und einen von ihnen zu Tode bringt, erhebt sich dagegen kein Protest in den westlichen Hauptstädten. Als Russland die EU-Staaten um Unterstützung gegen die Entsorgung des Antifaschismus hat, wiesen sie unter Hinweis auf die Souveränität ihrer baltischen Bündnispartner die russische "Einmischung" zurück. Und stillschweigend überweist die deutsche Bundesregierung weiter die Renten an die ehemaligen baltischen Freiwilligen der Waffen-SS.

Der hier schon zitierte Sergej Guk (Ossietzky 10/2007) zum Freiheitsgrad von NATO- und Kreml-Medien:

"Ganz zufällig habe ich erfahren, wie sich freie westliche Medien gelegentlich in heiklen Fällen benehmen. Der Chefredakteur des Wochenblatts Moskowskije Nowosti, Vitali Tretjakow, erzählte Folgendes: Er wollte Korrespondenten nach Estland schicken, die über die dortigen Auseinandersetzungen um das aus dem Stadtzentrum von Tallinn entfernte Denkmal für die Sowjetsoldaten berichten sollten. Sie bekamen keine Visa. Dann wollte er sich mit Bildern von Reuters und Agence France Press behelfen, die auf Massenkrawalle immer besonders scharf sind. Doch die beiden freien Agenturen stellten diesmal kein einziges Foto aus dem EU- und NATO-Mitgliedsland zur Verfügung, obwohl Novosti selbstverständlich dafür gezahlt hätte. Von den mit Polizeigewalt aufgelösten Demonstrationen der 'Uneinverstandenen' in Moskau dagegen hatten sie reiches Bildmaterial im Angebot, ganze Bilderserien."

Nicht alle Menschen werden von den hier beispielhaft aufgezählten Themen angesprochen, für sie hält der Mediensumpf Blüten besonderer Art bereit. Im August 2006 titelte der Stern: "Die Russen nehmen den Deutschen die schönsten Urlaubsstrände weg", der Bericht illustriert mit fetten Russinnen, aufreizenden Russinnen, behaarten männlichen Oberkörpern mit Sonnenmilchauftrag, gierige Russen am Kalten Buffet etc. Das Stichwort Rassismus wird trotz der eindeutigen Tendenz nicht all zu vielen Lesern eingefallen sein.

Könnte es sein, dass der in deutschen Medien übliche "Grundton" bei Berichten über Russland etwas mit dem über Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderten eingetrichterten Antislawismus zu tun hat? Der leitete bereits die Deutschritterorden und Deutschherrenorden bei der "Ostkolonisation", gebar im 1. Weltkrieg die Losung "Jeder Schuss ein Russ" und gipfelte in der Nazi-Hetze gegen die "slawischen Untermenschen" und der Ermordung von mehr als 25 Millionen Slawen verschiedener Ländern.

Unterschwellig scheint der Antislawismus noch oder wieder präsent - bewusst oder nicht, bei den Verfassern solcher Machwerke, und auch bei jenen Konsumenten, denen dabei nichts auffällt. Angesichts des medialen Trommelfeuers gegen Russland ist es Aufgabe der Aufklärung, die durchsichtigen Methoden ebenso bloßzulegen wie die wirtschaftlichen und militärischen Interessen der Auftraggeber, und insbesondere Wachsamkeit und Widerstand gegen rassistische Volksverhetzung zu mobilisieren.


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Quelle:
Freidenker - Nr. 2-07 Juli 2007, Seite 15-21, 66. Jahrgang
Herausgeber:
Verbandsvorstand des Deutschen Freidenker-Verbandes e.V.
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Internet: www.freidenker.de

Erscheinungsweise: vierteljährlich
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Februar 2010