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BERICHT/211: Berlin entschied sich für Ethik (diesseits)


diesseits 2. Quartal, Nr. 87/2009 - Zeitschrift des Humanistischen Verbandes

Es hat sich gelohnt: Berlin entschied sich für Ethik

Von Jutta Kausch


Im Januar war klar: Pro Reli hatte tatsächlich genügend Unterschriften gesammelt, um einen Volksentscheid durchzuführen, der die Wahlpflicht zwischen Ethik und Religion an der Berliner Schule durchsetzen sollte. Für die Humanisten in Berlin begann eine mühevolle Kleinarbeit.


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Die Initiative Pro Ethik, die sich schon seit langem für den gemeinsamen Ethikunterricht einsetzt, machte mobil, suchte Partner und bildete ein potentes Bündnis, bestehend aus gesellschaftlichen Organisationen, Initiativen, Verbänden und Parteien, um das zu stoppen, was sich Pro Reli vorgenommen hatte. Wir vom HVD Berlin waren sehr intensiv dabei, von der ersten Minute an, in trauter Eintracht mit der GEW und den Parteien SPD, LINKE und später auch den GRÜNEN, und mit Religiösen wie den "Christen Pro Ethik" oder der Buddhistischen Gemeinde. Nicht unbedingt alltäglich, diese Koalition!

Es war eine spannende, aufregende, arbeitsreiche und solidarische Zeit von Januar bis Ende April. Und das Gute war: Das einende Ziel war für alle das Wichtigste, Einzelinteressen und Eitelkeiten traten in den Hintergrund: Wir wollten erstens den gemeinsamen Ethikunterricht erhalten, der seit drei Jahren ein ordentliches Schulfach in den Klassen 7 bis 10 ist. Ein wichtiges Fach, in dem sich alle Schüler zusammen über Werte, Lebensentwürfe und Weltanschauungsfragen austauschen und verständigen müssen! Und zweitens wollten wir die Freiwilligkeit des Religions- und Lebenskundeunterrichts sichern.

Gegen die Unwahrheiten ("Religion soll aus den Schulen gedrängt werden!") und Schlagworte ("Es geht um die Freiheit") von Pro Reli, gegen Werbeikonen wie Günter Jauch und Arne Friedrich mit platten Statements setzten wir in unserer Kampagne Argumente.

Geld gab es zu Beginn kaum, die Parteien sahen keine großen Möglichkeiten, weil ja mehrere Wahlkämpfe ins Haus stehen. Die Initiativen besaßen außer Men- und Womanpower wenig finanzielle Ressourcen, und die Religiösen hatten sich ja gegen ihre Oberen gestellt, also war da auch kein Geld zu holen. Trotzdem konnte eine passable Plakatkampagne gestartet werden, mit gemeinsamem Logo und im Konsens getroffenen Slogans.

Wöchentliche Sitzungen im Kampagnenrat oder im Plenum, auf denen Aufgaben verteilt und Absprachen getroffen wurden, raubten Zeit und gaben Energie. Ein Büro und ein funktionierender attraktiver Internetauftritt bildeten das Fundament, auf dem die Arbeit gedeihen konnte.

Die einzelnen Gruppen organisierten Diskussionsveranstaltungen, Streitgespräche, druckten Flyer und Spuckis und starteten Umfragen.

Die zwei Hauptaufgaben, die wir vom HVD in dieser Kampagne übernommen haben (neben der Dauerpräsenz auf allen Bündnissitzungen und Lobbyarbeit), waren die Herstellung einer ausgesprochen charmanten Werbepostkarte, die 60.000 mal in Berliner Kneipen und Veranstaltungsorten in Umlauf gebracht wurde, sowie die Durchführung einer gut besuchten Veranstaltung im Tempodrom vier Tage vor der Wahl.

Lebenskundelehrerinnen verteilten Flyer, organisierten kreative Infostände, verteilten über 40.000 Elternbriefe, schrieben Leserbriefe, informierten auf Lehrerversammlungen an den Schulen, bezogen in Internet-Blogs Stellung. Kurz: Wir haben uns eingemischt und mächtig gekämpft und das war gut so! Der Erfolg gab uns Recht.

Nur 14 Prozent der Berliner Wähler stimmten für Pro Reli. Aber was wir nicht zu träumen gewagt hatten: wir fuhren mehr NEIN-Stimmen als JA-Stimmen ein!

Die Analysten werden jetzt spekulieren, erklären, deuten: Wie war das möglich?

Ich glaube, dass Pro Reli einmal zuviel das Wort "Freiheit" benutzt hat, um noch glaubwürdig zu sein. Und quasi den aktiven Widerspruch mitprovoziert hat. Also Danke an Pro Reli! Nein, mal ernsthaft: Danke an alle, die mitgeholfen haben, zu verhindern, dass Berlin einen Schritt zurück macht in Richtung Kirchenstaat.


Jutta Kausch arbeitet im Lebenskundebereich
der Berliner Humanisten. Sie organisierte die
HVD-Aktionen im Bündnis Pro Ethik.


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Quelle:
diesseits 2. Quartal, Nr. 87 2/2009, S. 13
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juli 2009