diesseits 3. Quartal, Nr. 80/2007 - Zeitschrift des Humanistischen Verbandes
einblicke
Dein ist mein ganzes Herz?
Streit um das Transplantationsgesetz
Von Uwe Körner
Vor zehn Jahren beendete der Deutsche Bundestag mit dem Beschluss des Transplantationsgesetzes die damals unübersichtliche Rechtssituation in Deutschland. Auch die heftige, von ideologischen Grabenkämpfen durchzogene öffentliche Debatte über den menschlichen Tod und die Regeln für die Organentnahme hatte ein vorläufiges Ende. Jetzt sorgt das Thema erneut für Wirbel.
Nach zehnjähriger Gesetzespraxis sehen wir in etwa das vorausgesagte Bild eines im Vergleich zu europäischen Nachbarn geringeren Aufkommens an Spenderorganen. So versterben bei uns im Vergleich zu anderen europäischen Ländern relativ mehr Patienten "auf der Warteliste", und wir "importieren" mittels Eurotransplant aus anderen Ländern zugleich auch mehr Organe, als wir selbst anderen zur Verfügung stellen.
Andererseits erfolgt im deutschen Krankenhauswesen nur bei einem Teil der tatsächlich verfügbaren Spender die Organexplantation, in anderen Ländern gibt es ganz offensichtlich auch effizientere Formen der Organgewinnung. Doch zweifellos liegt einer der Gründe für die relativ geringere Organgewinnungsrate in der vergleichsweise stärker restriktiv wirkenden Zustimmungsregelung des deutschen Transplantationsgesetzes: Die Organentnahme ist nur durch die vorab erklärte Zustimmung des Patienten gerechtfertigt oder ersatzweise unter bestimmten Voraussetzung durch die am mutmaßlichen Willen des Patienten orientierte Zustimmung des nächsten Angehörigen.
Nun kann es nicht darum gehen, die in einigen umliegenden Ländern übliche und auch aus der DDR bekannte Wider spruchsregelung einzuführen, der gemäß der Körper jedes Verstorbenen für eine Organentnahme in Anspruch genommen werden kann, es sei denn, er hat seinen Widerspruch dagegen erklärt. Der Ethikrat (ER) schlug in diesem Jahr nach sorgfältig begründeten Abwägungen der bei Transplantationen berührten moralischen Werte sowie der Aspekte des Selbstbestimmungsrechtes einschließlich der Rechte auf Nichtwissen und Nichtentscheiden eine durch eine partielle Widerspruchsregelung ergänzte Erklärungsregelung vor. Mit diesem Stufenmodell aus Erklärungs- und Widerspruchsregelung stach er jedoch in ein Wespennest von Ablehnung und gewöhnlicher ethischer Entrüstung.
Was der Ethikrat vorschlug
Die erste Stufe dieser Kombination ist die von jedem Bürger erwünschte Erklärung seiner Ablehnung oder Zustimmung zur Organentnahme nach Hirntodfeststellung. Als zweite Stufe soll für diejenigen, die - aus welchen Gründen auch immer - die Möglichkeit einer Erklärung nicht wahrnehmen, das traditionelle Prinzip der Widerspruchsregelung zur Geltung kommen. Dabei sieht der ER als wichtige Voraussetzungen eine angemessene Dokumentation der individuellen Erklärungen und insbesondere eine wesentlich verbesserte Information der Bevölkerung über alle Aspekte und Probleme der Organtransplantation an.
Die wesentliche moralische Abwägung ist, wie es die ER-Vorsitzende Kristine Weber-Hassemer darstellte, die Suche nach dem "Ausgleich zwischen dem Respekt vor der Selbstbestimmung potenzieller Organspender und dem Wunsch, möglichst vielen schwerkranken Menschen zu helfen... Niemand darf zu einer Organspende gezwungen werden, aber in einer solidarischen Gemeinschaft kann und darf er gebeten werden, sich zu erklären. Eine solche Aufforderung ist ins Verhältnis zu setzen zum Leiden derer, denen eine Transplantation die begründete Hoffnung schenkt, Linderung zu erlangen oder sogar dem sicheren Tod zu entgehen."
Der Hintergrund ist, dass gemäß Umfragen 80 Prozent der Deutschen die Organspende grundsätzlich befürworten, aber bisher nur von etwa 12 Prozent entsprechende Einverständniserklärungen (Organspendeausweise) vorliegen. Im Jahr wird zwar bei etwa 4000 Patienten eine Organtransplantation vorgenommen, jedoch warten laut Bundesärztekammer etwa 12000 Patienten gegenwärtig auf ein lebensrettendes Organ und jeden Tag sterben drei Menschen auf der Warteliste, weil ihnen nicht rechtzeitig ein neues Organ übertragen werden konnte.
Dass der Ethikrat das Prinzip der Widerspruchsregelung mit zur Geltung bringen möchte, erklärt sich vor allem aus dem relativ hohen Organspendeaufkommen in Ländern mit Gesetzen nach diesem Regelungsprinzip, wie insbesondere Österreich und Spanien, wo es ein in etwa dem Bedarf entsprechendes Organaufkommen gibt und der "Tod auf der Warteliste" auf ein Minimum zurückgedrängt ist. Für Österreich, wo sich nur 0,14 Prozent der Bevölkerung in ein entsprechendes Register eintragen lassen, konstatiert Prof. G. Aigner vom österreichischen Bundesgesundheitsministerium bei einer Tagung, dass die meisten Bürger auf den Widerspruch verzichten, wohl wissend, dass ihr Körper nach dem Tod für eine Organspende in Anspruch genommen werden kann.
Heftiger als wohl erwartet, stieß der Vorschlag des Ethikrates auf Ablehnung, deren Gründe differenziert zu bedenken sind.
Die Ablehnungsfront
In der breiten Front von Ablehnung und Kritik finden sich auch die Vertreter der ärztlichen Standesorganisation. "Aus Sicht der Ärzteschaft hat sich das Transplantationsrecht in vielerlei Hinsicht bewährt", so C. Fuchs, der Geschäftsführer der Bundesärztekammer. Wobei vielleicht daran zu erinnern ist, dass auch in den 1990er-Jahren seitens der Ärzteschaft die Meinung überwog, dass ein Gesetz nicht notwendig sei und die gewachsene, bis dahin gemäß allgemeinen Regeln des Straf- und Zivilrechts auf der Grundlage von Aufklärung und Einwilligung gerechtfertigte Praxis sich bewährt habe. (Gründen dafür ist an dieser Stelle nicht nachzugehen).
Die meisten Gegenstimmen übten sich jedoch einfach in den teils aus den Jahren bis 1997 bekannten Mustern eines ideologischen Schlagabtausches. Einige neue Akzente gab es allerdings auch, so den diffamierenden Kommentar, die Menschen würden mit dem ER-Modell in Geiselhaft genommen, was sich so anhört, als müsste man unter der vorgeschlagenen Neuregelung dadurch seine Freiheit erkaufen, dass man seine Organe zur Verfügung stellt.
Ähnlich fertigt O. Tolmein den ER mit dem Vorwurf ab, mit der Widerspruchsregelung werde ein Drohpotential und sozialer Druck aufgebaut, "als gäbe es in moralischer Hinsicht gar keine andere Option, als die Verpflichtung zur postmortalen Organspende". Im Stil ideologischer Verkürzung auf einen Gut-Böse-Gegensatz hält O. Tolmein einerseits dem Ethikrat vor, in seinem Bestreben nach mehr verfügbaren Organen nicht bereit zu sein, "sich ernsthaft mit der ethischen Problematik der Organspende auseinanderzusetzen und den Gründen dafür nachzuspüren, dass ... so wenige Bundesbürger tatsächlich als Organspender zur Verfügung (stehen)" und stellt dem den Bürger mit seinem Recht auf Nicht-Wissen und Nicht-Entscheidung gegenüber, dem "im bioethischen Kontext ein beachtlicher Wert zukommen muss"(1) - ein Musterbeispiel einer Argumentationskunst, mit der vielleicht eine Klientel-Ideologie zu befriedigen, ansonsten nur sicher zu bewirken ist, dass die Thematik am Köcheln bleibt und das Problem bleibt wie es ist, nämlich ungelöst. Tolmein gibt auch keinen erklärenden Fingerzeig dazu, inwiefern es für Angehörige ein Nachteil sein soll, "der Organentnahme nicht mehr zustimmen zu müssen, sondern nur noch widersprechen zu können." (ebd.)
Es gibt aber wohl mehr Spielarten von Bedürfnissen, Interessen und ethischen Problemlagen hinsichtlich der Organspende, als in solchen polemischen Kritiken Beachtung finden. Unter anderem, dass es manchem Menschen auch höchst gleichgültig ist, was nach ihrem Tod mit ihrem Körper geschieht.
Vielfalt von Bedenken
Ich selbst rechne mich zu den solcherart "Gleichgültigen". Doch geht es auch dabei nicht ohne Probleme, Unwohlgefühle und Ängste ab. Denn rein rational mag es egal sein, ob nach meinem Tod Würmer und Mikroben, das Krematoriumsfeuer oder Chirurgenskalpelle am Entsorgen meines Körpers arbeiten. Aber wer entgeht bei diesen Gedanken schon sensorischen Vorstellungen und dem Aufkommen unangenehmer Gefühle?
Ängste solcherart können leicht dominant werden, wenn nicht eine gewisse Kenntnis und Bemühung die diesbezügliche Phantasie niederhält. "Ich lehne seit jeher jede Manipulation an meinem toten Körper ab. Deshalb kam für mich auch nie in Frage, meinen Körper nach meinem Tod der Anatomie zu überlassen. Die Vorstellung, mein Körper würde nach meinem Tode zerteilt, ist für mich immer mit meinen lebendigen Empfindungsmöglichkeiten verbunden gewesen und ich empfinde schon bei der Vorstellung körperlichen Schmerz, Ausgeliefertsein und Angst."(2) - Wer in solcher Vorstellung gefangen bleibt, wird konsequenterweise nur mit einer gesicherten Ablehnung der Organentnahme gut leben können.
Aber auch mit wissenschaftlicher Betrachtung verschiedener in der Medizin diskutierter Konzepte zur Modifikationen der Todesfeststellung ergäbe sich für mich eine sehr kritische Distanz zur Organentnahme, z.B. bei dem in den USA aufgekommenen Modell vom "Non heart beating donor" (Entnahme nach (zeitweiliger) Abschaltung der Intensivmedizin und Herzstillstand). Das Vermeiden von Aufweichungen oder Ersatz der Hirntoddiagnose gehört zu den unbedingten Vertrauensgrundlagen der Transplantationsmedizin. Zum Glück können wir uns auf eine konsequente Position unserer Ärzteschaft verlassen und sicher sein, dass in Deutschland strikt am vollständigen Organtod des Gehirns als Todeskriterium festgehalten wird, wie er auch im Transplantationsgesetz definiert ist.
Das größere Problem besteht jedoch oft für die Angehörigen, die den Verlust eines nahen Mitmenschen erleben. Oder eben nicht erleben können, weil der Tod auf der Intensivstation keinen Begleiter zulässt. Wer da zuvor versäumt hat, mit einem gewissen Ernst an das (zwar für lange Zeit weniger wahrscheinliche aber doch jederzeit bestehende) Risiko des Todes und Verlustes zu denken, wer sich nicht schon immer mal an das Geschenk des gemeinsam Erlebten dankbar und mit Vergänglichkeitswehmut erinnerte, kann in einer plötzlichen Verlustsituation durch die medizinischen und organisatorischen Umstände einer Organexplantation sehr irritiert und überfordert sein, wo ihn andererseits das ungestörte Dabeisein beim Sterbenden und dann Gestorbenen eine gewisse Beruhigung und einen emotionalen Ansatz zur Verlusthinnahme gewinnen lassen könnte.
Prof. Uwe Körner ist Gastwissenschaftler am Institut für Medizingeschichte in der Charité-Universitätsmedizin Berlin.
Anmerkungen:
(1) Tolmein O. (2007): Organspende als Bürgerpflicht? Die Stellungnahme des Nationalen Ethikrates. Dr. Med. Mabuse Nr. 168, Juli/August 2007, S. 50.
(2) R. Greinert: Organspende aus der Sicht einer Angehörigen. Stellungnahme zur Expertenanhörung der Enquete-Kommission "Recht und Ethik der modernen Medizin" des Deutschen Bundestages am 6.11.2000.
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Quelle:
diesseits 3. Quartal, Nr. 80/2007, S. 18-19
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Dezember 2007