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FRAGEN/003: Gespräch mit Philosoph und Soziologe Hans Albert (diesseits)


diesseits Nr. 94, 1/2011
Das Magazin für weltlichen Humanismus

"Der Glaube an transzendente Kräfte ist unvereinbar mit der menschlichen Vernunft"

Von Helmut Fink, Vizepräsident der Humanistischen Akademie Bayern


Am 8. Februar ist der Philosoph und Soziologe Hans Albert 90 Jahre alt geworden. Albert ist einer der Hauptvertreter des Kritischen Rationalismus in Deutschland. In den 60er Jahren war er neben Karl Popper, Theodor W. Adorno und Jürgen Habermas einer der zentralen Akteure im sogenannten "Positivismusstreit". Sein Hauptwerk ist der 1968 erschienene Traktat über kritische Vernunft. Ihm liegt der Gedanke zugrunde, dass sicheres Wissen nicht möglich ist. Hans Albert ist Ehrenpräsident der Gesellschaft für kritische Philosophie in Nürnberg sowie Mitglied in den Beiräten der Giordano Bruno Stiftung und der Humanistischen Akademie Bayern. Für diesseits sprach Helmut Fink mit ihm.


DIESSEITS: Hans Albert, Sie sind 1921 geboren, können also auf 90 Lebensjahre zurückblicken. Wann in dieser ganzen Zeit war denn die beste Phase für Aufklärung und kritisches Denken?

HANS ALBERT: Das ist die Gegenwart, möchte ich sagen.

DIESSEITS: Das lässt uns hoffen. Ihre Biographie heißt "In Kontroversen verstrickt". Was waren Ihre Lieblingskontroversen?

HANS ALBERT: Nun, meine Lieblingskontroversen waren die mit Gadamer und der Positivismusstreit, also die Kontroverse mit Habermas und anderen.

DIESSEITS: Jürgen Habermas wird ja seit Jahren wieder verstärkt zitiert, z.B. zur Rolle der Religion in der modernen Gesellschaft und zum Verhältnis religiöser und säkularer Sprache. Was kann man als kritischer Rationalist dazu sagen? Ist Habermas kritisch genug und ist er rational genug?

HANS ALBERT: Nein. Man kann sogar sagen, dass er, der sich als Hermeneutiker äußern will, nicht in der Lage ist, die Position des Papstes zum Beispiel richtig zu verstehen. Er tut so, als wenn das, was in der Religion der wahre Kern ist, von einem Agnostiker - er versteht sich ja als Agnostiker - nicht verstanden werden kann und deshalb auch nicht beurteilt werden kann.

DIESSEITS: Als kritischer Rationalist würde man Wert darauf legen, dass die Position des Papstes verstanden werden kann?

HANS ALBERT: Ja natürlich, denn sie ist ja nicht unverständlich. Wenn man die Schriften des Papstes liest, so kann man sie durchaus verstehen. Und weil man sie verstehen kann, kann man sie auch kritisieren.

DIESSEITS: Das haben Sie ja bis heute wiederholt getan, auch bei anderen theologischen Autoren. Was ist dabei Ihr Antrieb?

HANS ALBERT: Mein Antrieb ist es, die religiöse Weltauffassung zu hinterfragen und zu zeigen, dass sie auf Abwege führt. Dass sie weder für die Erklärung der Ereignisse in der Welt geeignet ist noch irgendwie einen Sinn des Geschehens herausfinden kann. Denn es wird ja immer gesagt, dass die religiöse Weltauffassung das gesamte Weltgeschehen gewissermaßen als sinnvoll auffassen kann, im Sinne einer transzendenten Position.

DIESSEITS: Viele behaupten, wissenschaftliches Denken und religiöser Glaube können einander gar nicht widersprechen, weil sie von verschiedenen Dingen handeln. Stehen Wissenschaft und Religion im Widerspruch zueinander?

HANS ALBERT: Tatsächlich kann man sagen, dass die religiöse Weltauffassung auch eine Erklärung der Zusammenhänge in der Welt anbieten will. Es ist ja nicht so, dass sie nur Werte und Sinn expliziert, sondern sie will ja auch eine Erklärung des Gesamtzusammenhangs bieten. Und soweit sie kognitive Aspekte hat, kann man sie mit der wissenschaftlichen Weltauffassung konfrontieren und zeigen, dass sie eben keine echten Erklärungen liefert.

DIESSEITS: Wäre denn eine Spielart von Religion denkbar, die doch verträglich ist mit der Moderne - auch mit der Vernunft?

HANS ALBERT: Denkbar wäre sie schon. Obwohl die Frage, ob man dann noch von Religion sprechen kann, schwer zu beantworten ist.

DIESSEITS: Werden Theologen unter dem Druck der Kritik auf geklärter?

HANS ALBERT: Nein, den Eindruck habe ich gar nicht. Denn es ist so, dass sie zwar davon sprechen, dass sie aufgeklärter sind, in Wirklichkeit aber sich an den wirklichen, echten Einwänden gegen die religiöse Weltauffassung vorbeischwindeln. Es gibt ja eine Problematik, die immer wieder auftaucht, nämlich das so genannte Theodizee-Problem - wie sind die Übel der Welt mit Gottes Allwissen und Gottes Güte vereinbar? Das ist ein Problem, das noch nie gelöst worden ist.

DIESSEITS: Wagen wir einen Blick auf die Wissenschaftstheorie. Der kritische Rationalismus schlägt ja einen vielfältigen Zugang zu Problemlösungen vor, am Ende entscheiden der Erfolg und die kritische Prüfung. Wo ist die Abgrenzung zur Beliebigkeit? Paul Feyerabend hat gesagt: Anything goes...

HANS ALBERT: Paul Feyerabend war ja ursprünglich ein Anhänger des kritischen Rationalismus, hat sich dann aber gegen diese Position entschieden. Aber seine Behauptung Anything goes ist meines Erachtens nicht haltbar. Er ist ja schließlich in eine relativistische Position abgeglitten, die gewissermaßen das Wahrheitsproblem nicht mehr ernst nahm.

DIESSEITS: Was ist denn der Kern des kritischen Rationalismus?

HANS ALBERT: Es gibt drei wesentliche Annahmen, die für den kritischen Rationalismus charakteristisch sind: Erstens die Annahme der Fehlbarkeit der Vernunft, dass man sich im Problemlösungsverhalten darauf einstellen muss, dass man sich immer irren kann. Zweitens der Revisionismus, dass man also bereit ist, jede Auffassung unter Umständen zu revidieren, die man einmal hatte. Und drittens der kritische Realismus. Damit meine ich die Auffassung, dass man trotzdem Wahrheiten finden kann, d.h. wahre Überzeugungen über die tatsächlich existierende Wirklichkeit - das Wahrheitsproblem wird hier durchaus ernst genommen.

DIESSEITS: Nun ist Weltanschauung ja noch etwas anderes als nur Wissenschaft.

HANS ALBERT: Die Weltanschauung enthält andere Komponenten, zum Beispiel metaphysische Komponenten und praktische Komponenten. Der Humanismus ist eine praktische Einstellung. Eine Einstellung, die sich auch auf das praktische Handeln des Menschen bezieht.

DIESSEITS: Wieso halten Sie es weiterhin für wichtig, sich mit den Schriften von Theologen auseinanderzusetzen? Das muss doch frustrierend sein nach Jahrzehnten.

HANS ALBERT: Für mich ist es nicht frustrierend, sondern teilweise erheiternd. Ich meine, es macht mir großen Spaß mich mit diesen Schriften zu beschäftigen, denn die Theologie ist gewissermaßen die Disziplin, in der am meisten und auf verschiedenste Weise Auswege produziert werden, die dazu dienen sollen, gewissermaßen die menschliche Vernunft außer Kraft zu setzen.

DIESSEITS: Es gibt ja immer den Anspruch, dass der Glaube mit der menschlichen Vernunft vereinbar sein soll.

HANS ALBERT: Der Glaube im alltäglichen Sinne des Wortes, dass man irgendwelche Überzeugungen hat, der ist natürlich mit der menschlichen Vernunft vereinbar. Aber der Glaube an transzendente Kräfte, die also von außen her in das Weltgeschehen eingreifen, der ist meines Erachtens unvereinbar mit der menschlichen Vernunft. Jedenfalls in der heutigen Situation, in der die Wissenschaften ein solches Erklärungspotential haben, wie sie es in früheren Zeiten nicht hatten.

DIESSEITS: Sollte man Metaphysik vermeiden?

HANS ALBERT: Nein, durchaus nicht. Denn es gibt realistische Metaphysik. Es gibt eine Metaphysik, die mit der wissenschaftlichen Forschung vereinbar ist. Auch Einstein hatte eine bestimmte Metaphysik. Es gibt immanente Metaphysik.

DIESSEITS: Immanuel Kant hat gesagt, er sei verliebt in die Metaphysik. Was können wir von ihm heute lernen?

HANS ALBERT: Von Kant können wir lernen, dass wir den Mut haben, uns unseres eigenen Verstandes zu bedienen. Das ist ja das Projekt der Aufklärung. Allerdings würde ich Kant nicht in jeder Beziehung akzeptieren. Er hat zum Beispiel versucht, der Religion einen gewissen Raum innerhalb des Denkens einzuräumen und zwar in seiner praktischen Vernunft, und was er da gemacht hat, ist meines Erachtens nicht akzeptabel. Er hat sich ja explizit auch gegen den Atheismus gewandt.

DIESSEITS: Also Gott zu retten um der Glückseligkeit willen?

HANS ALBERT: Das ist nicht überzeugend. Aber habe Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen, diese Parole von Kant möchte ich durchaus akzeptieren.


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Quelle:
diesseits - Das Magazin für weltlichen Humanismus
Nr. 94, 1/2011, S. 22-23
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juni 2011