Schattenblick →INFOPOOL →WELTANSCHAUUNG → HUMANISTISCHER V.D.

KIRCHE/018: Interview - Wo Kirche draufsteht, ist auch Kirche drin - nur eben nicht ihr Geld (diesseits)


diesseits 3. Quartal, Nr. 93/2010 -
Zeitschrift des Humanistischen Verbandes

Wo Kirche draufsteht, ist auch Kirche drin - nur eben nicht ihr Geld


Im November erschien im Alibri-Verlag das "Violettbuch Kirchenfinanzen - Wie der Staat die Kirchen finanziert". Dr. Carsten Frerk, Leiter des Humanistischen Pressedienstes (hpd) und kirchenkritischer Autor, geht darin erneut der Frage nach, zu welchen Gelegenheiten der Staat von der Kirchen zur Kasse gebeten wird. Patricia Block unterhielt sich mit Dr. Frerk


DIESSEITS: Viele Diesseits-Leser kennen dein erstes Buch "Finanzen und Vermögen der Kirchen in Deutschland". Warum gibt es jetzt ein neues Buch, was fehlt im alten?

CARSTEN FRERK: Im alten fehlt gar nichts. Aber die dort veröffentlichten Zahlen sind schon zehn Jahre alt, es war notwendig zu aktualisieren. Im jetzigen Violettbuch habe ich den Fokus auf einen bestimmen Bereich gelegt. Nach den Diskussionen der letzten zwei Jahre war es naheliegend, die Staatsleistungen, also das Verhältnis Staat - Kirche, in den Mittelpunkt zu stellen und dabei die ganzen Fragen zum Vermögen der kirchlichen Wirtschaftsunternehmen einfach unberücksichtigt zu lassen. Das neue Buch ist nicht so umfangreich, auch kostengünstiger. So haben wir vielleicht eine Chance, mehr Leute zu erreichen. Offensichtlich hat auch die wissenschaftliche Form mit vielen Tabellen abgeschreckt, jetzt ist es lesbarer, aber nicht weniger wissenschaftlich fundiert.

DIESSEITS: Das Inhaltsverzeichnis lässt auf eine Sisyphusarbeit schließen. Wie lange hast du für deine Recherchen gebraucht?

CARSTEN FRERK: Die tatsächlich aufgewendete Zeit einzuschätzen, ist schwierig, das ist ja nur mein Nebenerwerb. Im Vorfeld hatte ich im vergangenen Herbst ein Referat zu Staatsleistungen in der Friedrich-Naumann-Stiftung. Ich ermittelte die stolze Summe von jährlich gezahlten 440 Mio. Euro an die Kirchen. Ohne dass es für diese sogenannten Entschädigungsleistungen einen historischen Rechtsanspruch gibt. Diese Begründung stimmt einfach nicht. Hier musste ich einfach weiter machen - dann ging der hpd (Humanistischer Pressedienst d. Red.) in die Sommerpause und ich in einen selbstverordneten Schreibarrest.

DIESSEITS: Warum setzt du im Titel auf "die Farbe Lila"? Andere Autoren bringen "Schwarzbücher" heraus.

CARSTEN FRERK: Ich habe vor etlichen Jahren eine Dokumentation begonnen, in der festgehalten werden sollte, welcher Politiker in seiner politischen Funktion, nicht als Privatmensch, auf kirchlichen Veranstaltungen spricht. Schon für diese Sammlung hatte ich den Titel Violettbuch reserviert.
Schwarzbücher klagen an, ich wollte dokumentieren. Violett hat die liturgische Bedeutung des Fastens und der Demut. Das ist auch meine Forderung an die Kirchen: demütiger zu werden, was ihre Forderungen an den Staat betrifft, und zu fasten, was die staatlichen Subventionen betrifft.

DIESSEITS: Jetzt wollen wir uns mal dem Inhalt zuwenden. Was wird die Leser besonders erschrecken?

CARSTEN FRERK: Als Staatsleistungen wird umgangssprachlich alles bezeichnet, was aus Steuergeldern bezahlt wird. Rein verfassungsrechtlich sind Staatsleistungen nur die auf historischen Verträgen basierenden Zahlungen des Staates an die Kirchen. Diese Summe ist im Vergleich zum Vorjahr schon wieder gestiegen, sie beträgt aktuell 550 Millionen Euro für Personalkosten wie die Bischofsgehälter oder Bauleistungen. Skandalös ist, dass diese Rechte aus einer vordemokratischen, feudalen Zeit stammen, Aristokraten brauchten diese Mittel, um ihre Macht zu zementieren. Das sollte eigentlich mit der Novemberrevolution von 1918 beendet sein. Und es gibt heute schon junge Staatsrechtler, die ganz klar sagen: Alle Verträge, die nicht demokratisch begründet werden können, sind verfassungswidrig. Diese vordemokratischen Verhältnisse zeigen sich, nebenbei gesagt, ja jetzt auch wieder darin, wie mit den Missbrauchsfällen umgegangen wird. Nach Artikel 137,3 der Weimarer Reichsverfassung, als Artikel 140 Bestandteil auch unseres Grundgesetzes, ordnen und verwalten die Religionsgemeinschaften ihre eigenen Angelegenheiten ohne Mitwirkung des Staates. Ursprünglich ist hier nur von "ordnen" und "verwalten" die Rede. Das Bundesverfassungsgericht hat schon sehr früh diese Bestimmung ganz leicht semantisch verschoben und nennt es das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen. Deshalb konnte Erzbischof Zollitsch auch so überrascht reagieren und forderte von der Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger eine Entschuldigung für ihre Kritik. Es hatte sich bisher eben tatsächlich niemand "eingemischt". Die Erkenntnis, dass Priester dem normalen Strafrecht unterworfen sind, löste ein böses Erwachen aus.

DIESSEITS: Mit welcher Summe des Staatshaushaltes sind die 550 Millionen ungefähr vergleichbar?

CARSTEN FRERK: Die öffentlichen Zahlungen an die Kirchen belaufen sich auf 19,3 Milliarden Euro, da sind die Staatsleistungen ja nur rund 3 Prozent. Aber weitere 9 Milliarden Euro gehen Jahr für Jahr in die theologischen Fakultäten, die Konfessionsschulen, in kirchliche Kindergärten oder Religionsunterricht und Erwachsenenbildung. Alles Bereiche, die von den Kirchen zu ihren Kernaufgaben gezählt werden. Selbst hier finanziert die öffentliche Hand also kräftig mit, nicht nur bei den Dienstleistungen, etwa wie im Gesundheitswesen.

DIESSEITS: "Wie hältst du es mit den Staatsfinanzen" - die Gretchenfrage auch für Humanisten!

CARSTEN FRERK: Ich sehe es so, dass die Humanisten, die sich als Weltanschauungsverbände verstehen und sich ähnlich den Kirchen aufgestellt haben, hier auch eine sinnvolle Arbeit übernommen haben. Wir haben im Moment ein Sozial- und Bildungssystem, in dem auch freie weltanschauliche Träger finanziert werden. Da wäre man unklug, wenn man sich nicht genauso positionieren würde. Aber ich sage auch schon seit Jahren, wenn wir als Humanisten nicht in die gleiche Abhängigkeit kommen wollen wie die Kirchen, müssen wir jetzt schon daran denken, eigene Stiftungen, eigene Finanzierungsmöglichkeiten aufzubauen. Damit wir dann, wenn wir tatsächlich eines Tages unser eigentliches Ziel - Trennung von Staat und Kirche - erreicht haben, nicht plötzlich auf dem Trockenen sitzen. Die Kirche hat Vermögen, wir haben keins. Das ist pragmatisch.

DIESSEITS: Du steckst ja tief in diesem Thema rund um die Finanzen der Kirchen. Bist du trotzdem noch auf Neuigkeiten gestoßen?

CARSTEN FRERK: Was für mich das Atemberaubende war, egal wo man hinschaut, ob Gesundheitswesen, Bildung, Kultur, Städtebau - überall, wirklich überall, mischen die Kirchen mit. Eine normale Lobbyorganisation hat so ihr spezielles Feld, da wenden sie sich an die Öffentlichkeit, bekommen unter Umständen Vergünstigungen. Kennt man. Aber dieses Flächendeckende, das hat auch mich noch einmal richtig überrascht. Nehmen wir ein Beispiel, das auch mir neu war. Es gibt im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit einen Kirchentitel von 1962. Die damalige Bundesregierung unter Adenauer hat einen Vertrag mit den Kirchen geschlossen, dass sie entwicklungsrelevante Vorhaben der Kirchen finanziell fördert. Dieser Titel hat zurzeit ein Volumen von beachtlichen 205 Millionen Euro. Schaut man hinter die Kulissen, handelt es sich hier um Missionswerke. Seit wann ist denn christliche Mission Aufgabe eines Bundesministeriums? Günter Nooke, bis vor kurzem Beauftragter der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und humanitäre Hilfe, weiß das sogar noch besser. Er verkündete unlängst auf dem Ökumenischen Kirchentag, Mission gehöre zu den Menschenrechten. Er müsste doch wissen, wovon er spricht - als neuer Afrika-Beauftragter der Bundesregierung!
Was mich noch überrascht hat, Stichwort katholische Erwachsenenbildung - wie viel christliche Heimvolkshochschulen es gibt, an die 700. Sie bekommen dafür eine Größenordnung von 70 Millionen Euro im Jahr als staatliche Zuschüsse. Die Einsicht, dass die ganze christliche Arbeit für die Jugend, für die Familie, alles aus Steuergeldern mitgetragen wird, das hat mich dann wieder beinahe umgehauen.

DIESSEITS: Kein kirchenfreier Ort, nirgends?

CARSTEN FRERK: Da muss man schon sehr genau suchen. Es gibt ja nahezu alles: Bauunternehmen, Reisebüros, Fluglinien. Man kann es unmöglich aufzählen.
Wir haben eine sehr ausgeprägte Doppelstruktur in Deutschland. Einerseits gibt es staatliche Einrichtungen und dazu parallel kirchliche Einrichtungen, die nicht von der Kirche finanziert werden. Der Öffentlichkeit wird es aber als kirchliche Leistung verkauft. Das ist für mich der Skandal.
Für die Begabtenförderung schüttet das Bundesforschungsministerium rund 200 Millionen Euro pro Jahr aus. Neben der neutralen Studienstiftung des Deutschen Volkes gibt es die Begabtenförderungswerke der Parteien, der Wirtschaft, der Gewerkschaften und eben der beiden großen Kirchen. Und in deren Darstellung wird verschwiegen, dass sie Steuergelder für ihre Begabten ausgeben. Wahrscheinlich haben sie das so verinnerlicht, dass sie es gar nicht mehr merken.

DIESSEITS: Du beziehst dich in deinen Untersuchungen auf die Großkirchen. Spielen jüdische Gemeinden hier keine Rolle? Und wie sieht es derzeit mit muslimischen Vereinigungen aus? Die Frage wird aktuell durch die Überlegungen zu den islamischen Lehrstühlen.

CARSTEN FRERK: Was die jüdischen Gemeinden in Deutschland bekommen, ist vergleichsweise sehr gering. Ein paar Millionen im einstelligen Bereich, da sind schon die Gelder zur Pflege jüdischer Friedhöfe inbegriffen. Das liegt schlichtweg an der geringen Zahl jüdischer Mitbürger.
Die Idee, Zähmung der Religion durch die Theologie, war im Christentum erfolgreich. Das versucht man jetzt bei den Muslimen auch, aber ob das gelingt? Ich bin da skeptisch. Es wird doch vernünftigerweise nur jemand ein Studium beginnen, wenn er sich sicher sein kann, dass er danach einen Arbeitsplatz findet, der mit mindest 2000 Euro bezahlt wird. Aber es gibt bei den Muslimen keine Kirchensteuer, wer soll also die Imame bezahlen? Derzeit trägt der türkische Staat für rund 900 Imame in Deutschland die Kosten. Davon, dass der deutsche Staat in diese Verpflichtung eintreten will, habe ich noch nichts gehört.

DIESSEITS: Das wird dann sicher Thema für einen Folgeband! Gibt es andere Leistungen für muslimische Vereinigungen?

CARSTEN FRERK: Diese Vergünstigungen sind zum größten Teil an den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts gebunden. Sechs oder acht Vereinigungen bemühen sich derzeit um diese Anerkennung. Es wird nicht leicht für sie nachzuweisen, wie viele Menschen sie vertreten, der Islam kennt ja keine Mitgliedschaft. Außerdem vertreten sie unterschiedliche Richtungen und bilden kein Zweckbündnis. Aber die Dinge sind im Fluss, so gibt es in Berlin schon eine islamische Akademie, die vom Staat finanziert wird.

DIESSEITS: In einem Kapitel widmest du dich den Fragen des "Besonderen Kirchgeldes in glaubensverschiedenen Ehen", das betrifft explizit Konfessionslose. Worum geht es hier genau?

CARSTEN FRERK: Da wird nun behauptet, dass der Hauptverdiener, meist der Mann, aus der Kirche austritt um Steuern zu sparen, die Frau aber drinbleibt, um einen kirchlichen Kindergartenplatz für die Kinder zu bekommen. Das wird als Sozialschmarotzertum gewertet, was ganz schnell auszutreiben ist. Also wird das gesamte Einkommen dieses Ehepaares zur Steuerberechnung herangezogen, der Mann, auch als Nichtmitglied, zahlt dann Kirchensteuer in Form dieses besonderen Kirchgeldes - ein gnadenloser Verfassungsbruch und kurios obendrein, denn der Kindergartenplatz ist ja gar keine kirchliche Leistung, sondern eine staatliche. Alle Klagen dagegen waren chancenlos.
Wenn man sich davor schützen will, sollte man Mitglied in einem Humanistischen Verband werden, der Körperschaft des öffentlichen Rechts ist, also Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen oder Nürnberg beispielsweise. Diese gelten als Konfession und die Ehe dann als konfessionsverschieden, wenn einer der beiden Kirchenmitglied ist und keiner für den anderen zahlen muss.

DIESSEITS: Ist Deutschland mit seinen Staatsleistungen im Vergleich zu anderen Ländern eine Ausnahme oder gibt es Vergleichbares?

CARSTEN FRERK: Nein, es gibt nichts Vergleichbares.

DIESSEITS: Du hast dich auch mit der Kirchensteuer beschäftigt?

CARSTEN FRERK: In Deutschland wurde die Kirchensteuer 1919 eingeführt, das war damals eine Ortskirchensteuer, die vergangenheitsbezogen war. Wenn ein Steuerpflichtiger seine Jahresrechnung abgegeben hatte, konnte man auch die Kirchensteuer berechnen, die die Kirche selbst einziehen musste, der Staat gab ihnen lediglich die Steuerlisten. Heute bekommen außer bei der evangelischen Kirche im Rheinland die Landeskirchen und Diözesen die Kirchensteuer, die Machtzentralen also. Wir haben das staatliche Inkasso und das hat sich inzwischen so verselbstständigt, dass die Kirchen den Staat beauftragen. Außerdem ist es eine Gegenwartssteuer geworden, die sofort bei Ausbezahlung des Lohnes fällig wird. Und wer macht es? Die Arbeitgeber, kostenlos. Diese Regelung setzt voraus, dass die Konfessionszugehörigkeit auf der Lohnsteuerkarte eingetragen ist. Das wurde 1934 von den Nazis eingeführt.

DIESSEITS: Welchen konkreten Anlass gab es dafür?

CARSTEN FRERK: Zum einen als Dankeschön für das Reichskonkordat. Dadurch ist das Dritte Reich aufgewertet worden, weil die katholische Kirche mit diesem Staat Verträge abgeschlossen hat. Und weiterhin, allerdings ist diese These noch nicht durch Forschungen belegt, gab es im Vorlauf der Nürnberger Gesetze ein Interesse der Nationalsozialisten, schon auf der Lohnsteuerkarte zu erkennen, wer Christ ist und wer nicht. Und die Kirchen haben genau hier nicht widersprochen.

DIESSEITS: Und wofür geht das meiste Geld aus der Kirchensteuer drauf?

CARSTEN FRERK: Zwischen 60 bis 80 Prozent sind Personalkosten für die Pastoren und Priester sowie die eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter - nur innerhalb der Kirchen, nicht bei den Wohlfahrtsverbänden.

DIESSEITS: Nun sagst du, dass der Staat auch die Kirchensteuer finanziell stützt?

CARSTEN FRERK: Ja. Es gibt ein jährliches Kirchensteueraufkommen von gut 9 Milliarden Euro. Die Bundesrepublik Deutschland verzichtet über die Möglichkeit der steuerlichen Absetzbarkeit dieser Steuer jährlich auf rund 3 Millionen Euro, das ist eine so genannte negative Staatsleistung. Über das staatliche Inkasso haben die Kirchen zudem eine Ersparnis von rund 1,8 Milliarden Euro. Vergleichszahlen aus Österreich zeigen, rund 25 Prozent müssten sie für das eigene Eintreiben aufbringen. Wenn man jetzt noch berechnet, was die Finanzämter und Arbeitgeber bekommen müssten, sind es rund 5 Milliarden Euro, die die Kirchen sparen.

DIESSEITS: Ist das eine Antwort auf die noch nicht gestellte Frage, warum sich Humanisten für diesen Aspekt interessieren sollen? Sie zahlen ja keine Kirchensteuer.

CARSTEN FRERK: Ich sehe das unter einem demokratischen Gesichtspunkt. Es ist ein finanzverfassungsrechtliches Unikum, dass für einen nichtstaatlichen Empfänger diese Leistung erbracht wird. Warum wird es getan? Aus genau diesem gleichen vordemokratischen Bezug. Wir tun dies für die Kirchen, weil wir sie brauchen. Das durchzieht diese Diskussionen immer wieder. Die Bevölkerung akzeptiert dieses System. Ach die 30 Euro, ist ja nicht viel im Vergleich zu anderen Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen. Aber Humanisten sollten sich noch aus einem anderen Grund dafür interessieren. Wir leben in einer Zivilgesellschaft. Da brauchen wir selbstständige, selbstbewusste Akteure. Die Kirchen betonen in ihren Programmatiken, sie stünden an der Seite der Armen... Was sie dann tatsächlich an politischen Erklärungen abgeben zu Hartz IV, ist so moderat, kaum kritisch zu nennen. Wenn ich so stark von dem Wohlwollen der Politiker abhängig bin, darf ich hier auch niemals die grundsätzliche Frage stellen, ob unser Wirtschaftssystem überhaupt geeignet ist, einen sozialen Ausgleich zu schaffen. Diese Radikalität kann sich die Kirche gar nicht leisten.

DIESSEITS: Hast du Hoffnung auf Veränderung?

CARSTEN FRERK: Ich will's mal so sagen, ich habe schon mit Menschen gesprochen, die nach der Lektüre meiner Bücher aus der Kirche ausgetreten sind. Sie waren entsetzt, wie wenig eigenes Geld die Kirchen in die Wohltätigkeit investiert haben. Da hat also Aufklärung wirklich etwas gebracht. Zum anderen sehe ich auch im politischen Raum die ersten zaghaften Ansätze, das Staat-Kirche-Verhältnis zu erörtern. Das hat bisher überhaupt keine Rolle gespielt. Gerade jüngere Bundestagsabgeordnete sehen ein, dass es so nicht weitergehen kann. Die Kirchen haben natürlich ein Interesse daran, dass diese Regelungen nicht verändert werden. Dazu holen sie jetzt die Muslime ins Boot, damit es nicht so auffällt... Aber ja, ich bin hoffnungsfroh, auch durch die Arbeit des KORSO werden diese Fragen mehr und mehr ins öffentliche Bewusstsein kommen.

DIESSEITS: Vom KORSO hört man ja eher wenig?

CARSTEN FRERK: Wir haben jetzt im Herbst zwei große Aktionen. Zum einen bekommen alle Bundestagsabgeordneten, die Landtage, alle Ministerpräsidenten vom KORSO ein Violettbuch zugeschickt. Danach können sie nicht mehr sagen, sie hätten von nichts gewusst. Außerdem läuft eine große Kirchenaustrittskampagne unter Federführung des IBKA (Internationaler Bund der Konfessionslosen und Atheisten, die Red.), auch KORSO-Mitglied. Kernidee ist, die Menschen zu überzeugen, wenn sie wirklich etwas Karitatives tun wollen, treten sie aus der Kirche aus, nehmen die gesparte Kirchensteuer und spenden die Hälfte davon an eine karitative Einrichtung, ruhig auch Caritas oder Diakonie. Dann gehen tatsächlich 50 Prozent ihrer Kirchensteuer an dieses Projekt, und nicht nur fünf bis acht Prozent, die sonst da aus der Kirchensteuer ankommen. So tun sie etwas doppelt Gutes.


*


Quelle:
diesseits 4. Quartal, Nr. 93/2010, S. 13-16
Herausgeber: Humanistischer Verband Deutschlands
Wallstraße 61-65, 10179 Berlin
Telefon: 030/613 904-41
E-Mail: diesseits@humanismus.de
Internet: http://www.humanismus.de

"diesseits" erscheint vierteljährlich am
1. März, 1. Juni, 1. September und 1. Dezember.
Jahresabonnement: 13,- Euro (inklusive Porto und
Mehrwertsteuer), Einzelexemplar 4,25 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Januar 2011