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KULTUR/048: Micky Maus ist Mormone (diesseits)


diesseits 2. Quartal, Nr. 87/2009 - Zeitschrift des Humanistischen Verbandes

Micky Maus ist Mormone

Von Gernoth Schmidt


Am 2. April startete der neue Film "Religulous" von "Borat"-Regisseur Larry Charles in den deutschen Kinos. Vier Tage vor dem offiziellen Start präsentierte die Giordano Bruno Stiftung (gbs) im Berliner Kino "Babylon" die "Exklusive Preview" des satirischen Dokumentarfilms, der in den USA für Aufregung und volle Kinosäle gesorgt hat. Unser Autor Gernoth Schmidt war dabei.


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Es beginnt am Ende, am Weltenende in Megiddo (Armageddon), dem Ort der letzten Schlacht. Auf diesem heiligen Grund, an dem schon vor dieser finalen Schlacht alles kaputt ist, steht inmitten antiken Gerölls ein quirliger vorlauter Mann, der uns auf seine Pilgerreise in die bunte Glaubenswelt der Religionen einlädt. Er lächelt und wird auch fortan lächeln auf all seinen Wegen. Er ist Komiker. Er wird mit flinker Zunge sprechen und dabei seine Gesprächspartner nicht immer ausreden lassen. Er ist Talkmaster.

Wir lernen Bill Maher als einen Mann auf Mission kennen. Er besucht neben Stein gewordenen Orten des Glaubens auch eine mobile Trucker-Kapelle, eine Cannabis-Kirche - deren zugekiffter Guru dem Nirvana bereits sehr nahe scheint -, Holyland, einen biblischen Disneypark, in dem (ein sehr attraktiver) Jesus jeden Tag gekreuzigt wird, nachdem er mit Maria vorher auf einer Bühne getanzt und gesungen hat, und sogar eine islamische Schwulenbar in der Diaspora Amsterdams. Maher outet sich als Skeptiker, als Spross gelebter abrahamitischer Ökumene (Vater Katholik, Mutter Jüdin), der vorgibt, den Glauben verstehen zu wollen. Man wird ja wohl fragen dürfen, was es mit sprechenden Schlangen auf sich hat und Menschen, die in einem Fischleib wie in einem U-Boot transportiert werden? Indem Maher Religionen beim Wort nimmt und ihren Repräsentanten an sich einfache Fragen stellt, wird seine Pilgerreise zur Ketzertour und zur Offenbarung zugleich, die logischerweise mit dem Song "Road To Nowhere" der Talking Heads endet.


Gefährlicher Unfug

Religulous ist ein Thesenfilm im Geist der Aufklärung, dessen Titel - ein Wortspiel aus "religious" (religiös) und "ridiculous" (lächerlich) - Programm ist, eine Aufforderung, selbst zu denken und nicht devot nachzubeten, was immer Autoritäten als Glaubensgewissheit verkünden. Wobei auch Maher selbst der Wahrheit nie näher als in einem seiner ersten Sätze kommt: "Die Antwort kennen wir nicht!"

Die Fakten: Religionen verkaufen ein unsichtbares Produkt und verbreiten im Diesseits Angst vor dem Jenseits. Die sogenannten Gottesbeweise aller Religionen würden vor Gericht keinem einzigen Kreuzverhör standhalten - im Übrigen ein Grund für immer wieder neue Abspaltungen, die man auch als Varianten einer Evolution transzendentaler Bedürfnisse verstehen kann, die einerseits immer abstraktere und unverbindlichere Konstruktionen hervorbringen, andererseits aber wie seit vielen tausend Jahren in sklavische Unterwerfung und gefährlichen Unfug münden. Maher bietet vor allem Beispiele für Letzteres, weil er sich in seiner One-Man-Show - präsent in jeder Szene und stets zu satanischen Kommentaren aufgelegt - auf Exzesse konzentriert. Offenbar ziehen ihn und seinen Regisseur Larry Charles ("Borat") Oberflächenreize besonders an. Leider wird Religulous so zeitweise zu einem Kuriositätenkabinett, bei dem das Kopfschütteln leicht fällt.

Man mag kaum glauben, was Menschen zu glauben bereit sind, gerade in den USA. Nirgends in der westlichen Welt scheint Religion noch so einflussreich, blüht religiöser Eskapismus so fruchtbar. Wir erleben religiös "Erweckte", die ernsthaft fürchten, Gott würde in ein anderes Land gehen (!), wenn wir, die Amerikaner, nicht tun, was ER will. Für die Mormonen ist Gott zwar nicht amerikanischer Staatsbürger (sie verorten IHN auf einem Planeten namens Kolob), aber der Garten Eden hätte sich schon in Gods own Country, irgendwo in Missouri, und nicht im Orient befunden. Sie taufen sogar Verstorbene und haben auf diese Weise beispielsweise Adolf Hitler, Micky Maus und Johannes Paul II. eingemeindet. Ob selbsternannter Nachfahre Christi - Jésus Miranda, der die Kirche "Growing in Grace" gegründet hat -, ob regelrecht dummer Gospelprediger, der nicht einmal bibelfest ist, aber seine Anhänger schamlos auszubeuten versteht, ob sauertöpfisch blickende Evangelikale, die nicht erkennen lassen, dass sie die "frohe Botschaft" froh macht - sie alle finden ihre Jüngerschar.

Der erklärte Agnostiker Maher macht es sich einfach, indem er sich mit nicht sehr argumentationsstarken Vertretern einlässt. Außer dem bemerkenswerten Jesus-Darsteller in Holyland und zwei freundlichen katholischen Geistlichen, die bereitwillig in Mahers Klage über evangelikale Fundamentalisten einstimmen und über Raumfahrt als zeitgemäßen Aspekt der Missionierung witzeln (an beiden erkennt man den Wert einer guten Schulung), vermag ihm niemand rhetorisch Paroli zu bieten. Etwas mehr Struktur und Analyse hätten eine aufklärerischere Wirkung als der zehnte Gag auf Kosten überforderter Gesprächspartner, deren Antworten Maher manchmal gar nicht erst abwartet. Billige Polemik wie: "Warum bringen Sie sich nicht um, wenn es im Himmel so schön ist?" hätte der Film nicht nötig; zudem könnte sie von jedem halbwegs wachen Gläubigen mit Hinweis auf das Suizidverbot leicht widerlegt werden.


Reise durch Absurdistan

Religulous ist immer dann stark, wenn die Szenen sich selbst kommentieren, wenn Profanes in das Heilige einbricht, als Staubsauger, der im Felsendom zwischen betenden Muslimen sein Reinigungswerk verrichtet, wenn ein Imam inmitten einer prächtigen Moschee auf eine in einer winzigen Nische kauernde betuchte Frau weist und gönnerhaft betont, dass "wir für Frauen besondere Ecken haben" oder wenn sich Juden im Kaftan an der Klagemauer heftig wippend scheinbar die Köpfe einschlagen. Manchmal wähnt man sich auf einer Reise durch Absurdistan, etwa wenn jüdische Tüftler versuchen, die Sabbatruhe durch technische Tricks zu umgehen, um sie zu bewahren. Im besten Sinne Aufklärung leistet der Film mit verblüffenden, wenig bekannten Vergleichen, die Jesu Heilsgeschichte bis ins Detail als Nacherzählung der Legende des ägyptischen Hauptgottes Horus erscheinen lässt und zudem etliche Parallelen zu Mithras und Krishna zeigt. Danach ist nichts mehr einzigartig, nicht Jungfrauengeburt noch Bergpredigt, nicht Blindenheilung noch Überwasserlaufen, nicht Kreuzestod noch Himmelfahrt. Mit seinen unzähligen Anspielungen, der wilden, oft entlarvenden Montage, die viele Schnipsel aus Dokumentationen und Fernsehberichten kompiliert, ist der Film wie eine Rumpelkammer, die zum Wühlen anregt und nebenbei Nützliches, Heiteres, Geistreiches und vielleicht sogar einen Schatz entdecken lässt. Natürlich weiß man danach auch, warum sich Spott auf Gott reimt.

Schwebende Lamas und verfilzte Sadhus kommen übrigens nicht vor. Der Film konzentriert sich auf die in Wüsten geborenen Buchreligionen, das bietet Stoff genug. Denn die Fragen sind endlos. Ich wollte immer schon wissen, wieso Gott nur delirierenden Exzentrikern in der Einöde erschien und nicht Zehntausenden inmitten einer Veranstaltung im römischen Kolosseum? Wie viel mehr Wirkung hätte ER erzielen können, wenn ER einen von Löwen zerfetzten Gladiator wohl präpariert auf Himmelfahrt schickte? Wenn es einen Gott geben sollte, ist ER jedenfalls ein miserabler Dramaturg, der seine Ghostwriter gegen Shakespeare oder wenigstens Sophokles hätte austauschen sollen.


Plädoyer für den Zweifel

Der Film ist ein packendes Plädoyer für den Zweifel, weil es der Zweifel ist, der den Menschen adelt, indem er automatistische Handlungen (Reflex & Instinkt, Gehorsam & Glaube) auf eine höhere Erkenntnisebene führt. Machen wir uns nichts vor. Menschen glauben ganz unabhängig von Religion an alles Mögliche, an Systemwetten beim Lotto, probiotische Joghurtkulturen, sogar an die Einlösung von Wahlversprechen. Auch wir müssen uns Fragen stellen. Wäre die Welt ohne Religionen besser? Sicher ist der Gott des Alten Testaments ein bösartiger Tyrann, der Genozide und Ökozide verübt - aber der Wahn ist nicht nur zwischen Buchdeckeln, in weihrauchgeschwängerten Kathedralen oder staubigen Teppichen der Moscheen zu Hause, sondern überall dort, wo Allmachtsphantasien und Absolutheitsansprüche aufblühen, auch in manch sterilem Laboratorium säkularer Wissenschaftler, die im Herzen nur die Maschine sehen. Findet mensch nicht immer einen Grund zu lügen, zu plündern, zu schänden und zu morden? Bleibt ohne höchste, spätestens beim Jüngsten Gericht strafende Instanz nicht jede Ethik unverbindliche Handelsware auf dem Markt aktueller Bedürfnisse? Was Atheisten - jedenfalls solche mit heilsgeschichtlichen Ambitionen - vermögen, hat das blutgebadete 20. Jahrhundert deutlich gezeigt.

Religulous provoziert, stellt aber entscheidende Fragen und eignet sich gerade für den Religionsunterricht als Pflichtfilm - als Gradmesser echter Toleranz. Und sobald ein geistesverwandter Film aus Iran, Pakistan oder Saudi-Arabien kommt, dann, aber erst dann, bin ich bereit auch an die Toleranz des Islams zu glauben, ja zu glauben.


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Quelle:
diesseits 2. Quartal, Nr. 87 2/2009, S. 18-19
Herausgeber: Humanistischer Verband Deutschlands
Wallstraße 61-65, 10179 Berlin
Telefon: 030/613 904-41
E-Mail: diesseits@humanismus.de
Internet: http://www.humanismus.de

"diesseits" erscheint vierteljährlich am
1. März, 1. Juni, 1. September und 1. Dezember.
Jahresabonnement: 13,- Euro (inklusive Porto und
Mehrwertsteuer), Einzelexemplar 4,25 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juli 2009