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STANDPUNKT/175: Kant hätte zur Energiesparlampe gegriffen (diesseits)


diesseits 1. Quartal, Nr. 82/2008
Zeitschrift des Humanistischen Verbandes

Kant hätte zur Energiesparlampe gegriffen
Perspektiven des humanistischen Ökologiediskurses

Von André Schlüter


Umwelt- und Klimaschutz beginnt mit der Bewusstmachung der individuellen Handlungsmöglichkeiten. Keine Frage, dass auch der HVD diese Dimension erkannt hat. In seinem Humanistischen Selbstverständnis wird ausdrücklich auf die "ökologische Verantwortung der menschlichen Gesellschaft" hingewiesen. "Ökonomische Strukturen und ökonomisches Handeln" müssten "an ökologische Kriterien gebunden werden, damit das gemeinsame Erbe der Menschheit unbeschädigt an die künftigen Generationen weitergegeben werden" könne. Ausgespart bleibt dort jedoch die individuelle Verantwortung, ein Defizit, das im Rahmen der Ausgestaltung eines ganzheitlich humanistischen Welt-, Menschen- und Gesellschaftsbild unbedingt beseitigt werden sollte.


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Die Lampe ist kaputt. Genauer, die Glühlampe ist kaputt. Hans Mustermann kauft eine neue. Und weil er sich an die letzte Abrechnung des allmächtigen Versorgers erinnert, greift Mustermann, angewidert von Preis, Form und Lichtfarbe, zur Energiesparlampe. 11 Watt statt 60 zu einem Vielfachen dessen, was er früher für ein solches Verschleißteil ausgegeben hat. Das schmerzt. Gut nur, dass er sich nun als Umweltschützer fühlen kann. Weniger gut, dass ihn erst die Rechnung seines Versorgers zum Umdenken brachte und dieser sich selbst nun als Hüter des Klimas präsentiert. Herrn Mustermann überfällt das blanke Grauen beim Gedanken an dessen letzte Imagekampagne: "Klimaschützer der Woche. Kernkraftwerk Brunsbüttel. Jahreserzeugung 6 Mrd. KW/h, CO2-Ausstoß Null." Er fühlt sich verhöhnt und gedemütigt. Der Multi als Öko? Das kann und darf nicht sein.

Doch Mustermann verharrt nicht im Zustand der selbstverschuldeten Unmündigkeit. Er wechselt den Anbieter.

Es gibt viele Mustermänner in diesem Land. Manche sind den ersten Schritt bereits gegangen und haben ihrem Monopolisten gekündigt. Einige jedoch sind schlichtweg zu träge, um das Problem tatkräftig anzugehen. Andere lassen sich von Verlautbarungen der Lobbyisten blenden, glauben, dass Atomstrom in Zukunft unverzichtbar sein wird, dass es den Standort Deutschland schädigen würde, wenn man die Meiler abschalte und die Auflagen für emissionsträchtige Großkraftwerke erhöhe und man überhaupt alles technisch mögliche täte, um die Belastungen der Umwelt möglichst gering zu halten.


Individuelle Verantwortung

Dabei zeigt das Beispiel Mustermann, dass Umwelt- und Klimaschutz bereits mit der Vergegenwärtigung der individuellen Handlungsmöglichkeiten beginnt und letztlich ein Problem der Selbstbewusstwerdung ist. Keine Frage, dass auch der HVD diese humanistische Dimension des Umweltschutzes erkannt hat. In seinem Humanistischen Selbstverständnis findet der ökologische Aspekt insofern einen angemessenen Platz, als dass hier ausdrücklich auf die "ökologische Verantwortung der menschlichen Gesellschaft" hingewiesen wird. "Ökonomische Strukturen und ökonomisches Handeln" müssten "an ökologische Kriterien gebunden werden, damit das gemeinsame Erbe der Menschheit unbeschädigt an die künftigen Generationen weitergegeben werden" könne. (Praktische Orientierungen 3) Ausgespart bleiben jedoch alltägliches Handeln und die individuelle Verantwortung, ein Defizit, das im Rahmen der Ausgestaltung eines ganzheitlich humanistischen Welt-, Menschen- und Gesellschaftsbild unbedingt beseitigt werden sollte.

Eine pointierte humanistisch-ökologische Position könnte beispielsweise mit Kant bezogen werden: "Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne." Mit diesem, kategorischer Imperativ genannten Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft, ließe sich im Angesicht des Klimawandels die gesamte Lebensführung kritisch betrachten. Dabei zeigt eine in der "Süddeutschen Zeitung" (10.03.07) abgedruckte Aufstellung täglicher Verrichtungen, welche Potenziale in einem verantwortlich gelebten Alltag stecken. In der Gegenüberstellung eines etwas verschwenderischen und eines sparsamen Tages wurden die Handlungen eines Menschen in Bezug auf den verursachten CO2-Ausstoß miteinander verglichen. Bei den folgenden Werten wurde der Energiemix eines Durchschnittshaushalts angenommen, bei dem jede Kilowattstunde Strom mit 530 g Kohlendioxid belastet ist. Dieser Wert lässt sich durch die Verwendung von Ökostrom verringern. (Überzeugende Angebote gibt es unter www.stromvergleich.com)

Das Ergebnis regt zum Nachdenken an. An einem etwas verschwenderischen Tag dudelt der Radiowecker eine halbe Stunde, hängt aber den ganzen Tag am Netz (22,26 g CO2). Man fährt mit dem Auto (VW Golf 80 PS, Normalbenzin) die acht Kilometer zur Arbeit (im Stadtverkehr 1800 g CO2). Und der kleine Röhrenfernseher, abends für eine Stunde in Betrieb (37,1 g CO2), ist immer auf Standby (74,2 g CO2) usw. Der CO2-Ausstoß eines solchen Tages summiert sich schließlich auf 38085,85 g. Ein sparsamer Tag beginnt für den Probanten mit dem Läuten eines Aufziehweckers (0 g CO2). Die acht Kilometer zur Arbeit legt er mit der proppenvollen U-Bahn zurück (900 Fahrgäste/pro Person 33,3 g) fort. Der Fernseher wird ebenfalls für eine Stunde eingeschaltet (37,1 g CO2). Er ist aber ansonsten vom Netz (0 g CO2). Die Summe der Emissionen sinkt auf 14410,99 g. Das ist eine Reduktion um 62,16 Prozent. Der Leser sieht leicht ein: Nicht nur die Auswahl einer Glühlampe sollte einer allgemein vorbildlichen Maxime des eigenen Willens folgen.


Ressourcen in begrenztem Umfang

Ein Lehrstück für die ökologisch folgenreiche Abwesenheit kritischen Denkens ist die Entwaldung der Osterinsel. Jared Diamond hat in seinem Buch "Kollaps" dargelegt, dass das im Ostpazifik gelegene Eiland einstmals eine Bevölkerung von 15.000 Menschen ernährte. Um das Jahr 900 von den Polynesiern besiedelt, entwickelte sich auf der nur 162,5 Quadratkilometer großen Insel bald eine intensive Landwirtschaft, die zugleich die wirtschaftliche Grundlage für den Bau der berühmten Statuen, den so genannten Moais, war. Diamond zu Folge hätten diese Moais den Charakter eines religiösen Statussymbols gehabt: Das Ansehen der einzelnen Häuptlinge hing jeweils davon ab, dass sie größere Statuen errichteten als ihre Vorfahren und Konkurrenten. Das Problem dabei war, dass die für die Errichtung der Moais notwendigen Ressourcen nur in einem begrenzten Umfang zur Verfügung standen. So bedurfte es enormer Mengen an Lebensmitteln, um die Bildhauer und Transportkolonnen zu ernähren. Die bis zu 90 Tonnen schweren Statuen wurden allein mit Muskelkraft bewegt, doch brauchte man Holz für Schlitten, Leitern und Hebel sowie dicke Seile aus faserigen Baumrinden. Ein Ergebnis dieses zunehmend exzessiven (Toten)Kultes war, dass zunächst der Baumbestand zurückging und später alle Bäume verschwanden. Die Auswirkungen waren verheerend. Nicht nur, dass es kein Holz zum Bau von seetüchtigen Kanus mehr gab und man den Fischfang im offenen Meer aufgeben musste, die mit der Abholzung zunehmende Bodenerosion beeinträchtigte seit dem Jahr 1400 auch die Landwirtschaft. Es folgten Austrocknung und Auswaschung von Nährstoffen, die zu einem Rückgang des Pflanzenertrages führte. Im weiteren Verlauf kam es dann zu einem völligen Zusammenbruch der dortigen Zivilisation.


Vorwurf Neiddebatte

Man kann sich nun fragen, wie eine Gesellschaft die so offenkundig katastrophale Entscheidung traf, alle Bäume zu fällen, auf die sie angewiesen war? Die Antwort lautet: Ihre Entscheidungsträger waren in einer Konkurrenzspirale gefangen: Jeder Herrscher, der kleinere Statuen gebaut hätte, um die Wälder zu schonen, wäre verspottet worden und hätte seine Stellung verloren. Daher stellte eine politische Elite ihr kurzfristiges Kalkül über die langfristigen Interessen der Gemeinschaft. Der diesem Verhalten inhärente Versuch, anderen die Lasten des eigenen Verhaltens aufzubürden, lässt sich nun auch in modernen Gesellschaften nachweisen, mit dem Unterschied, dass sich das unaufgeklärte Statusdenken demokratisiert hat. Die von ihm ausgehenden Gefährdungen sind daher nicht geringer geworden. Im Gegenteil, sie haben sich potenziert und: In einer globalisierten Welt sind unter Umständen alle von den Folgen des Verhaltens einiger betroffen. Dabei ist, nur um ein aktuelles Beispiel herauszugreifen, der neueste Audi, ein 580 PS starker Kombi mit einem Durchschnittsverbrauch von 14 l/100 km und einem CO2-Ausstoß von 333 g/km, einem Moai durchaus äquivalent. Seine Anschaffung folgt sicher keiner allgemein vorbildlichen Maxime, sondern ist Ausdruck eines blanken Egoismus.

Da sich solcher Vorwurf nicht mehr als Beitrag zur Neid-Debatte abbügeln lässt, wird nochmals deutlich, welche Potenziale in einem mit den Argumenten des Humanismus geführten Ökologiediskurs stecken. Seine Spannweite reicht von Hilfestellungen für die individuelle Kaufentscheidung, über die Lebensführung bis hin zur Entzauberung moderner Statussymbole. Für den HVD öffnet sich hier ein weites Feld. Wohl an, die Diskussion ist eröffnet.


André Schlüter ist Literaturwissenschaftler.

Zum Weiterlesen:
Diamond, Jared: 'Kollaps: Warum Gesellschaften überleben oder untergehen'.
Fischer-Taschenbuch Verlag, 702 S. - 9,95 Euro


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Quelle:
diesseits 1. Quartal, Nr. 82/März/08, S. 16-17
Herausgeber: Humanistischer Verband Deutschlands
Wallstraße 61-65, 10179 Berlin
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E-Mail: diesseits@humanismus.de
Internet: http://www.humanismus.de

"diesseits" erscheint vierteljährlich am
1. März, 1. Juni, 1. September und 1. Dezember.
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Mehrwertsteuer), Einzelexemplar 4,25 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. April 2008