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STANDPUNKT/185: Freiheit, Respekt, Selbstbestimmung - Humanistische Werte und Mediation (diesseits)


diesseits 3. Quartal, Nr. 93/2010 -
Zeitschrift des Humanistischen Verbandes

Freiheit, Respekt, Selbstbestimmung
Humanistische Werte und Mediation

Von Corinna Telkamp


Freiheit, Respekt, Selbstbestimmung - wie sieht es mit humanistischen Werten in Konfliktfällen aus? Ist es nicht gerade Respekt, den der Gegner im Konflikt vermissen lässt? Wo bitte ist man selbstbestimmt, gefangen in einer Eskalationsspirale? Und ist es nicht häufig die persönliche Freiheit, die man im Streit bedroht sieht?


Der Mensch hat die Fähigkeit, sich selbst zu verstehen und zu entwickeln

Dieses humanistische Menschenbild liegt auch der Mediation zugrunde. Die Mediation geht davon aus, dass der Mensch grundsätzlich selbst zu guten Lösungen imstande ist. Er weiß, was für ihn gut und richtig ist. Inhaltlich kennt sich niemand so gut mit dem Konflikt aus, wie die Beteiligten selbst, auch wenn sie unterschiedliche Sichtweisen auf die Situation haben.

Das Problem im Konflikt besteht darin, dass die Streitparteien oft nicht wissen, wie sie eine Lösung herbeiführen können, obgleich sie grundsätzlich eine Lösung wollen. Das hängt mit der Dynamik von Konflikten zusammen. Diese beeinträchtigt die Wahrnehmung, die Gefühle und den Willen der Beteiligten. Mit zunehmender Konflikteskalation sinkt die Fähigkeit, das Problem alleine lösen zu können. Die Beteiligten sind ab einem gewissen Grad der Eskalation im Konflikt verfangen. Die Intervention einer neutralen Person versetzt sie wieder in die Lage, selbst eine Lösung für ihr Problem zu finden. Methodisch unterstützt vom Mediator, können die Konfliktparteien das ihnen grundsätzlich innewohnende schöpferische Potenzial nutzen. Dadurch entstehen in der Mediation individuelle und oft kreative Lösungen.


Respekt vor dem Menschen und die Würde des Einzelnen

In fast allen Konflikten, die ich als Mediatorin erlebe, geht es auch um Anerkennung. Der Mensch möchte mit seinen Leistungen und Fähigkeiten, mit seinen Motiven, Bedürfnissen und Gefühlen gesehen werden. Das lässt sich neurobiologisch erklären: Anerkennung und Wertschätzung aktivieren die körpereigenen Motivationssysteme, entsprechende Botenstoffe werden ausgeschüttet, die die Motivation und die Leistungsbereitschaft steigern. Daher ist es völlig unabhängig davon, ob es sich um Arbeitskonflikte in Unternehmen und Organisationen oder private Konflikte in Familien und Partnerschaften handelt - Anerkennung ist wichtig.

In der Mediation findet dieses Grundbedürfnis des Menschen Beachtung. Der Mediator begegnet den Konfliktparteien mit großem Respekt, Empathie und Verständnis. Mediatoren sind allparteilich. Das bedeutet, sie stehen auf Seiten beider Parteien und nehmen die subjektive Sichtweise, die Interessen, Bedürfnisse und Gefühle beider Seiten ernst und berücksichtigen sie.

In der Mediation gibt es irgendwann einen Punkt, an dem sich die Spannungen auflösen und kreative Lösungswege möglich werden. Dieser Punkt kommt dann, wenn die Beteiligten den Eindruck haben, dass ihre Motive und Gefühle wirklich gesehen und verstanden worden sind (wobei verstehen nicht einverstanden heißen muss). Auch das erklärt die Neurobiologie. Die durch Anerkennung ausgeschütteten körpereigenen Botenstoffe regen auch die Kreativität des Menschen an. Daher entstehen in der Mediation häufig zunächst für unmöglich gehaltene maßgeschneiderte Lösungen, die sich an den Interessen beider Parteien orientieren. Mediation bringt das Prinzip Menschlichkeit, das gerade in eskalierten Konflikten untergeht, wieder zurück.


Das Handeln soll am Wohl des Einzelnen und der Gesellschaft orientiert sein

Alle Konfliktparteien werden in der Mediation einbezogen und die Beteiligten treten in direkte Kommunikation miteinander. Meist sind sie sich im Konflikt entweder aus dem Weg gegangen und Kommunikation fand kaum noch statt oder sie verlief tendenziell destruktiv. Die Mediation ermöglicht wieder konstruktiv ins Gespräch zu kommen. Die Beziehung der Streitparteien bleibt auf lange Sicht gewahrt, was die Konfliktlösungen nachhaltiger macht.

Hinzu kommt, dass die Konfliktparteien während der Mediation eine konstruktive Art, Konflikte zu bearbeiten, lernen bzw. weiter entwickeln. Auf diese Konfliktfähigkeit können sie in zukünftigen Situationen zurückgreifen. Das ist der Transformationseffekt der Mediation. Somit wirkt sich Mediation positiv auf die Streitkultur im Umfeld der Konfliktparteien aus, sei es in ihrer Familie, sei es an ihrem Arbeitsplatz. Mediation trägt auf diesem Weg langfristig zu einem solidarischen und menschlichen Miteinander bei, wie es der Humanismus anstrebt.


Anwendung der Mediation heute

Ursprünglich aus den USA kommend, wird Mediation seit Ende der 1980er-Jahre in Deutschland zunehmend als außergerichtliches Verfahren zur Konfliktlösung angewandt. Heute hat sich die Mediation vor allem in folgenden Bereichen etabliert und wird dort erfolgreich genutzt:

Unternehmen und Organisationen: bei Konflikten zwischen Kollegen, Führungskraft und Mitarbeitern, in und zwischen Teams, zwischen Betriebsrat und Geschäftsführung, zwischen Unternehmen und deren Kunden.

Familie und Partnerschaft: bei Trennung und Scheidung, bei Erbschaftsstreitigkeiten, Generationenkonflikten, Konflikten in der Partnerschaft.

Nachbarschaft und Gemeinwesen: zwischen Nachbarn, Vermieter und Mieter, Anwohnern und Gewerbetreibenden.

öffentlicher Raum: Beteiligung aller Konfliktparteien bei der Umgestaltung des öffentlichen Raums, wie z.B. einem Flughafenausbau, dem Bau eines Spielplatzes, dem Ausbau einer Uferpromenade etc.

Schule: In der Schule werden Schüler und Schülerinnen als Konfliktlotsen ausgebildet.

Konflikte gehören geklärt - am Besten auf Basis humanistischer Werte

Konflikte gibt es überall, wo Menschen zusammen arbeiten oder leben. Mit präventivem Konfliktmanagement und Schulung der Konfliktkompetenz können manche Streitanlässe verhindert werden. Dennoch wird es immer Konflikte geben. Es kommt also auf den Umgang damit, sprich auf die Streitkultur an. Das Problem besteht in vielen Kontexten häufig in der Tabuisierung von Konflikten. Da Konflikte unangenehm und schmerzlich für alle Beteiligten sind, versuchen viele Menschen, Konflikte so lange es geht zu ignorieren, zu verschweigen, ihnen aus dem Weg zu gehen. Meist eskaliert der Streit derweil unter der vermeintlich stillen Oberfläche weiter. Dies sind so genannte kalte Konflikte. Häufig kommt irgendwann ein Punkt, an dem es "richtig kracht" - der Konflikt wird heiß.

Ich plädiere für die Akzeptanz von Konflikten und die konstruktive Bearbeitung. Denn fest steht: Ungelöste Konflikte kosten. Sie verlangen den Beteiligten eine Menge Zeit und Energie ab; sie beeinträchtigen die Arbeitskraft, die dann für die eigentliche Tätigkeit fehlt; es fallen Gerichts- und Anwaltskosten an; nicht selten gehen ungelöste Konflikte auf Kosten der Gesundheit. Konflikte gehören daher geklärt. Eine Investition in die Konfliktklärung lohnt sich.

Mediation ermöglicht eine Konfliktklärung auf Basis der humanistischen Werte. Sie legt Wert auf die Selbstbestimmung und Eigenverantwortlichkeit der Beteiligten, der Respekt vor dem Menschen und seine Würde werden gewahrt. Der Mensch wird mit seinen Interessen und Bedürfnissen ernst genommen. Er kann sich im Zuge der Konfliktklärung entwickeln und selbst schöpferisch tätig werden. Mediation und Humanismus scheinen ein stimmiges Paar abzugeben. Inwiefern das der Humanistische Verband Deutschlands für sich und sein gesellschaftliches Ansinnen nutzen mag, bleibt vielleicht zu diskutieren.


Corinna Telkamp ist Mediatorin BM®, Team Management Beraterin®, Moderatorin und Trainerin für Kommunikation und Konfliktmanagement (www.corinna-telkamp.de). Sie war 2006/2007 als Referentin für Öffentlichkeitsarbeit im HVD Berlin tätig.


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Quelle:
diesseits 4. Quartal, Nr. 93/2010, S. 30-31
Herausgeber: Humanistischer Verband Deutschlands
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Februar 2011