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WISSENSCHAFT/010: Ernst Haeckels Monismus und ... (ha)


humanismus aktuell - Hefte für Kultur und Weltanschauung - Nr. 19 - Herbst 2006

Ernst Haeckels Monismus und der Versuch einer Lösung der "Welt-Rätsel"

von Heiko Weber


1908 druckten die Blätter des Deutschen Monistenbundes folgendes Gedicht, überschrieben mit Haeckel [1]:

Wir dulden zwar Haeckel, den Protisten,
Doch nie den Monisten und Propagandisten
[...]
Sich ducken und bucken
Und ja nicht mucken,
Alles erforschen mit heißem Bemüh'n
Und bloß die Konsequenzen nicht zieh'n,
Verstohlen flüstern: "Heut liegt der Fall so."
Doch niemals beizufügen: "Ja - also"
Als "stiller Gelehrter" forschen und finden,
Doch "taktvoll" schweigen und nichts verkünden.
Vertauschen, vornehm sein und wedeln,
Das ist nach eurem Herzen - - - ihr Edeln!
Ich aber liebe den prachtvollen Mann da
Am stärksten für seine Propaganda.
Denn ärgert sich auch Schmidt und Schulz, -
Das herrlichste bleibt: der Impuls.

Monismus um 1900

Die grundlegenden Entdeckungen und gewaltigen Fortschritte der Naturwissenschaften im 19. Jahrhundert führten zu einer weitgehend natürlichen und kausalen Erklärung der Lebensprozesse. [2] Erinnert sei hier nur an die Entdeckung der elektromagnetischen Induktion durch Faraday (1831), den Energieerhaltungssatz von James Joule (1818-1889) und Hermann Ludwig Ferdinand von Helmholtz (1821-1894), den Entropiebegriff und den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik (1850), die Begründung der Spektralanalyse durch Kirchhoff und Bunsen, die Theorie des elektromagnetischen Feldes, das Periodensystem der Elemente, die Ionenlehre von Svante Arrhenius (1886), die Entdeckung der Röntgenstrahlen (1895) und der Radioaktivität, die Quantentheorie von Max Planck (1900) bis hin zur Relativitätstheorie und dem Rutherfordschen Atommodell, sowie die Zellentheorie [3] (1836) und Zellularpathologie (1854), die Evolutionstheorie Darwins (1859), die Widerlegung der Urzeugungstheorie durch Pasteur (1860), die Aufklärung von Befruchtungs- und Vererbungsprozessen, um nur einige zu nennen.

Insbesondere die Zellentheorie, die Neurobiologie [4] und vor allem die Evolutionstheorie Darwins und deren Weiterentwicklung [5] bildeten die theoretischen Grundlagen für eine neue Etappe in der Biologie. Sie war zugleich aber in weltanschaulicher Hinsicht eine Kampfansage an idealistische und insbesondere religiöse Auffassungen. [6]

Auf ihrem Boden wuchs ein riesiges Gebilde von Gesellschaftstheorien. [7] Materialisten, wie Carl Vogt (1817-1895) [8], Julius Moleschott, Ludwig Büchner (1824-1899) [9] hatten den Boden für eine weltanschauliche Interpretation in Deutschland schon in den 1850er Jahren vorbereitet. Die Kritik von Ludwig Feuerbach und David Friedrich Strauß an der Religion wirkten in gleichem Sinne.

Dabei zeigen die eingehenden wissenschaftshistorischen Arbeiten, die in jüngster Zeit zum Beziehungsgefüge von Wissenschaft und Ideologie vorgelegt wurden deutlich [10], wie differenziert eine eingehende Analyse des Beziehungsgefüges von wissenschaftlicher Theorienbildung und weltanschaulicher Popularisierung im Zeitraum um 1900 zu zeichnen ist. Gerade in diesem Zeitraum verweisen die Naturforscher selbst auf die entsprechenden Konsequenzen ihrer Forschung, woraus die Verbindung von einzelwissenschaftlicher Forschung und Weltanschauung resultiert. Die wissenschaftlichen Veröffentlichungen von Wilhelm Ostwald (1853- 1932) [11],

Ernst Haeckel (1834-1919), August Forel (1840-1931), Franz Müller-Lyer (1857-1916) und anderen Wissenschaftlern im Monistenbund, lassen eine enge Verzahnung von einzelwissenschaftlichen Forschungsansätzen und der von den Autoren vertretenen weltanschaulichen Gesamtkonzeptionen erkennen. Die benannten Autoren verstehen sich auch in ihren ethischen, sozialpolitischen, sozialhygienischen, philosophischen und rassenpolitischen Programmen als Naturwissenschaftler.

Um 1900 formierte sich dann unter der Bezeichnung "Monismus" ein in seinen Detaillierungen vergleichsweise heterogenes Aussagengefüge, dessen wesentlich einendes Unterfangen es war, ausgehend von einer Analyse des seinerzeitigen naturwissenschaftlichen Kenntnisstandes eine umfassende, auch ethisch-philosophisch ausgereifte Theorie, zu entwickeln.

Ernst Haeckel, Wilhelm Ostwald und August Forel gehören zu den prominenten, diese Richtung fördernde Vertretern der seinerzeitigen Naturwissenschaften. In dem 1906 unter anderem von den Biologen Ernst Haeckel und Wilhelm Breitenbach und dem Bremer Reformtheologen Albert Kalthoff (1850-1906) gegründeten Deutschen Monistenbundes (DMB) [12] fanden diese Bestrebungen einen übergreifenden organisatorischen Rahmen, der sich bewusst gegen vorhandene, aber eben nicht im Haeckelschen Sinne naturwissenschaftlich fundierte "monistische" Vereinigungen absetzte. [13] In Folge dieser einflussreichen Gründung des Monistenbundes kam es mit dem Österreichischen Monistenbund (1909 als Ortsgruppe Wien des Deutschen Monistenbundes, ab 1913 Monistenbund in Oesterreich), Schweizerischen Monistenbund (1913) und dem Tschechischen Monistenbund (1913) zu Folgegründungen.

Der Monismus setzte sich dabei von den Bestimmungen des Materialismus dahingehend ab, dass er eine Trennung von Bewusstseinsvorgängen und Materiellen ablehnte. Deshalb versuchte er, trotz des Zugeständnisses der in der Beobachtung auszumachenden Verschiedenheit des Materiellen und Seelischen, an dessen Einheit in der Wirklichkeit festzuhalten. So beriefen sich einige Vertreter des Monismus, in Rückbezug auf die Philosophie von Baruch de Spinoza (1632-1677) und Theodor Fechner (1801-1887) auf eine strenge gesetzmäßige Entsprechung, also einem Parallelismus, von Physischem und Psychischen. [14]

Dabei ging man von der Voraussetzung aus, dass die physiologischen Vorgänge selbst mechanisch zu erklären seien. Die seelischen und körperlichen Erscheinungen sind dabei Äußerungen ein und derselbe Weltsubstanz. Diese wurde von einigen Naturalisten als eine "Gottheit" bezeichnet, der aber jeder persönliche Charakter abgesprochen wird und die in pantheistischer Weise mit der Welt gleich und in eins gesetzt wird. Jedoch wurde dieser pyschophysische Parallelismus von einigen Monisten, wie Wilhelm Ostwald und August Forel abgelehnt.

Gemeinsam war allen Monisten, dass sie die Notwendigkeit metaphysischer Bestimmungen der Naturgesetze und gegebenen Erfahrungstatsachen ablehnten. Jedoch führte die Postulierung einer Weltsubstanz, so wie sie vor allem von Haeckel vertreten wurde dazu, dass die letzten Begründungen des Monismus in ein metaphysisches System führten.

Orientierte sich der Materialismus hauptsächlich an den Erkenntnissen der Physik und Chemie, denen als Grundwissenschaft die Mechanik diente, so waren für den naturalistischen Monismus die Erkenntnisse der Biologie, vor allem der Evolutionstheorie, Ausgangspunkt für ihre Erkenntnistheorie. Im Mittelpunkt steht der Begriff des Lebens, der jedoch relativ unbestimmt blieb. So unterschieden der naturalistischen Monisten den Inbegriff des Lebens als organismische Funktion kaum von dem des spezifisch menschlichen Lebens in einem historisch-kulturellen Sinne.

Das ist besonders bei Müller-Lyer zu beobachten. Er war zunächst Assistent an der Psychiatrischen Klinik in Straßburg, dann betrieb er in Berlin, Wien, Paris und London psychologische und soziologische Studien und ließ sich 1888 als Privatgelehrter in München nieder. Anfangs verfasste Müller-Lyer physiologische und psychophysische Arbeiten (z.B. experimentelle Untersuchungen über Amblyopie, optische Untersuchungen), später beschäftigte er sich vor allem mit soziologischen Studien. Von 1515 bis zu seinem Tod 1916 war Müller- Lyer Vorsitzender des Deutschen Monistenbundes. Er vertrat einen aktivistischen, evolutionistischen Positivismus und entwickelte eine "euphoristische" Philosophie, deren Endziel die Tat, die Vervollkommnung des menschlichen Lebens im Sinne des "Sozialindividualismus" war.

Unter "Euphorie" verstand Müller-Lyer dabei die Verbindung von subjektiver Glückseligkeit und objektiver Vollkommenheit des Lebens. Das Ziel des sittlichen Handelns bestimmte er eudämonistisch, aber nicht hedonistisch-egoistisch. Für ihn oblag die Lösung der großen Menschheitsprobleme der Soziologie. Die höchste Phase der Menschheitsentwicklung zeigt sich nach seiner Ansicht in einer aktiven "Kulturbeherrschung". [15]

Hier, wie mit seiner Weltanschauung, seiner Lebensauffassung und Lebensbestimmung insgesamt, stand der Monismus in einem ausgeprägten Gegensatz zum kirchlichen Christentum. "Er bekämpfte den christlichen Dualismus von persönlichen ewigen Gott und erschaffener vergänglicher Welt, von Diesseits und Jenseits, von Körper und substantieller unsterblicher Seele, von Unorganischem und Organischen, von Naturnotwendigkeit und menschlicher Willensfreiheit; besonders scharf bestreitet er den Anspruch der Kirchen, mit Hilfe des Staates und der Schule Erwachsene wie Jugendliche unter ihrem geistigen Einfluß zu halten." [16]

Der naturalistische Monismus machte für sich geltend, auch die Wertüberzeugungen, vor allem in ethischer Hinsicht, auf Grundlage der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse zu begründen zu können. Vor allem die Strömungen des Psychologismus innerhalb des Monismus vertraten die Ansicht, dass die Psychologie als Grundlage der Geistes- und Kulturwissenschaften gesehen und sie somit auch die Bestimmungen und Begründungen für die Logik und Ethik liefern kann. Die Fragen der Ethik und Logik wurden somit auf eine psychologisch-genetische Interpretation der Motivationen von Ansichten und Handlungen reduziert.

Dies führte dazu, dass der eigentliche Wahrheitsbegriff aufgelöst wurde, weil das, was begründet werden sollte, zu Begründungen der Wahrheit wurde. Die Umbewertung von formalen Gesetzmäßigkeiten in relativ geltende Erklärungsmuster der psychologischen Prozessen führten zu einer Unbestimmtheit des Wesens des Sittlichen und Künstlerischen und zum Verschmelzen von Kultur- und Naturwissenschaften.

Der Monismus Ernst Haeckels

Haeckel war Zoologe und Naturphilosoph, Professor für vergleichende Anatomie und Zoologie in Jena und Gründer des zoologischen Institutes der Universität. Er unternahm meeresbiologische Forschungsreisen nach Italien, den Kanarischen Inseln, Norwegen, dem roten Meer, Ceylon und Sumatra. Als leidenschaftlicher Verfechter der Abstammungslehre von Charles Darwin und Alfred Russel Wallace verfasste er bedeutende morphologische, systematische und entwicklungsgeschichtliche Arbeiten über Radiolarien, Schwämme und Medusen (zum Teil auch unter ästhetischen Gesichtspunkten wie die Kunstformen der Natur) und beteiligte sich mit grundlegenden Werken an der Diskussion um die Evolutionslehre.

In seinen theoretischen Schriften begründete Haeckel eine monistische Weltanschauung. Als erster vertrat er 1863 in Deutschland die These, dass das Prinzip des Fortschrittes auch auf die historische Analyse und politische Umgestaltung von kulturellen und sozialen Leistungen anzuwenden sei. Mit seiner entschiedenen Verfechtung der Vererbung erworbener Eigenschaften stand er im Gegensatz zu den Neodarwinisten.

Sein biogenetisches Grundgesetz und seine Gastreatheorie hatten zunächst einen großen Einfluss auf die Biologie bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Mit den neuen Erkenntnissen der Genetik und Entwicklungsphysiologie nach 1900 wurden viele seiner Anschauungen verändert.

Haeckel wird weitestgehend als der Begründer des Monismus auf naturwissenschaftlicher Grundlage und Initiator der monistischen Bewegung im 19./20. Jahrhundert angesehen. Dabei kann aber nicht von der Haeckelschen Monismustheorie gesprochen werden, sondern sein Konzept der einheitlichen Weltanschauung unterlag in der Zeit von 1866 mit der Herausgabe der Generellen Morphologie (1866), über Der Monismus als Band zwischen Religion und Wissenschaft (1892) bis zur Gott-Natur - Theophysis (1914) und den Kristallseelen (1917) wesentlichen Veränderungen und Ergänzungen. Grundlage für seine Naturphilosophie war die Evolutionstheorie Darwins in der Prägung durch Jean-Baptiste de Lamarck (1744-1829), da für Haeckels Monismus die Vererbung erworbener Eigenschaften ein zentrale Rolle spielen. [17]

Ohne das Prinzip der Vererbung erworbener Eigenschaften, lässt sich der Entwicklungsgedanke nicht auf die psychologischen Erscheinungen übertragen. Mit Hilfe des Gesetzes der Vererbung erworbener Eigenschaften ist die Höherentwicklung von Menschen und Menschenrassen zu belegen, auch wenn sich die anatomisch-physiologischen Befunde gleichen.

Im Jahre 1899 veröffentlichte Haeckel sein wohl bedeutendstes und vor allem bekanntestes monistisches Werk Die Welträthsel. In diesem Buch sollte die Philosophie der Entwicklung umfassend begründet und dargestellt werden. Schon im ersten Jahr erschienen drei Auflagen. 1905 war bereits die neunte Auflage erschienen. Ab 1903 erschienen in rascher Auflage Volksausgeben und ab 1908 Taschenbuchausgaben. 1915 waren bereits 320.000 Exemplare gedruckt und 1926 wurde das 400.000 Exemplar erreicht. Insgesamt erschienen 25 Übersetzungen [18] und allein die von Joseph McCabe (1867-1955) [19] herausgegebene englische Edition hat 250.000 Exemplare hervorgebracht.

Der Verleger der ersten deutschen Ausgabe Emil Strauß schrieb in einem Brief an Ernst Haeckel vom 25.04.1899 "Ich bin völlig begeistert und überzeugt, daß das Erscheinen des Buches ein Ereignis sein wird, daß selbst die Stumpfsinnigsten zur Stellungnahme zwingen wird" [20] und weiter in einem Brief vom 17.09.1899 nach der Versendung der ersten Exemplare "Es kann also der Tanz beginnen. An Sturm wird es nicht fehlen." [21]. Anliegen Haeckels war es, die von Emil du Bois-Reymond (1818-1896) in seiner Schrift Die sieben Welträtsel 1891 aufgestellte These von der Unlösbarkeit der sieben Probleme, die durch den menschlichen Verstand erkannt und erklärt werden müssen, zu widerlegen. Unlösbar erschienen du Bois-Reymond:

I. Das Wesen der Materie und der Kraft

II. Der Ursprung der Bewegung

III. Die Entstehung des Lebens

IV. Die absichtsvoll zweckmäßige Einrichtung der Natur

V. Das Entstehen der einfachen Sinnesempfindung

VI. Das vernünftige Denken und den Ursprung der damit eng verbundenen Sprache

VII. Das Problem der Willensfreiheit.

In den Welträtseln löst Haeckel das Problem I, II, IV durch die Einführung seines Substanzgesetzes auf. Die Probleme III, V und VI sind für ihn durch die Erkenntnisse der modernen Evolutionstheorie gelöst. Das Problem der Willensfreiheit (VII) existiert für Haeckel nicht, da es für ihn kein Objekt wissenschaftlicher Anschauung ist, sondern reines Dogma, welches in Wirklichkeit gar nicht existiere. Willensfreiheit als Indeterminismus ist für Haeckel gleich allen übrigen Funktionen des Gehirns, wie Empfinden, Vorstellen, Denken. Damit ist auch das Wollen des Menschen eine physiologische Funktion des nervösen Zentralorgans und durch dessen anatomische Struktur bedingt.

Die besonderen persönlichen Eigenschaften des menschlichen Gehirns, welche teils durch Vererbung von den Vorfahren (Anlagen) gegeben, teils durch Anpassung im individuellen Leben erworben sind, bedingen mit Notwendigkeit auch seinen Willen. Das alte philosophische Dogma der Willensfreiheit, des Indeterminismus erscheint Haeckel für unhaltbar und muss durch den Determinismus der monistischen Naturwissenschaft ersetzt werden.

Der Erfolg der Welträtsel beruht vor allem darauf, dass hiermit eine Schrift vorgelegt wurde, die den Gedanken der Evolutionstheorie in einer einfachen, auch für den naturwissenschaftlich nicht vorgebildeten Leser, in eine anschauliche Form bringt. Kurze, einfach strukturierte Weltformeln (Entwicklungsgesetz und Substanzgesetz) werden in einem historischen Kontext entfaltet und erlangen damit eine Selbstevidenz, deren Widerlegung unmöglich erscheint. Beispiele aus den Naturwissenschaften untermalen das Begründungskonstrukt.

Doch nicht nur in seinen Schriften nutzt Haeckel die Möglichkeiten der sinnlichen - vor allem visuellen - Vermittlung seiner Erkenntnisse, auch auf seinen vielen öffentlichen Vorträgen setzt er illustrative Elemente gezielt ein.

Dabei muss jedoch berücksichtigt werden, dass die illustrativ- propagandistischen Arbeiten Haeckels immer dem Risiko verhaftet waren, dass Sie mehr zeigten als die wissenschaftlichen Ergebnisse zutage gefördert hatten. An dieser Stelle soll nur auf den Streit um Haeckels Embryonenbilder verwiesen werden [22], welche als illustrative Abbildung der Keimes- und Stammesgeschichte bestens zu didaktischen Zwecken in seinen öffentlichen Vorträgen geeignet waren, aber durch ihre vereinfachende Darstellungsform große Kritik unter den Fachkollegen hervorrief und Haeckels weltanschauliche Gegner zur Fälschungsanklage ermutigten.

So schreibt Erich Wasmann 1909 in Bezug auf Haeckel "Embryonenfälschungen": Er "bezeichnet daselbst den Keplerbund als 'naturphilosophischen Fälscherbund', weil derselbe die Ergebnisse der Wissenschaft mit den christlichen Glaubenslehren versöhnen wollte. - Das wagt ein Haeckel, der seit 40 Jahren das deutsche Volk durch Fälschung von Ideen noch weit schlimmer betrogen hat als durch seine 'Fälschungen von Embryonenbilder'! Sollen wir ihn vielleicht noch daran erinnern müssen, wie er aus dem 'persönlichen Schöpfer' des Christentums ein 'gasförmiges Wirbeltier' machte, wie er die geistige Seele des Menschen in einen 'Seelenschnee' sich verdichten ließ?" [23]

In seiner 1914 erschienenen Gott-Natur (Theophysis). Studien über monistische Religion fasst Haeckel die in seinem Leben gewonnen Erkenntnisse zur monistischen Philosophie zusammen. Interessant ist hierbei, dass er hier offen von monistischer Religion spricht und somit die objektive Naturerkenntnis in Einheit mit Glaubenssätzen eines erkennenden Subjektes bringt. Diesen scheinbaren Widerspruch versucht Haeckel dadurch zu lösen, dass er den Weg unseres Erkenntnisprozesses, also den Weg welchen das erkennende Subjekt bestreitet, um Kenntnis über die Tatsachen der Natur zu erlangen, umfassend zu klären sucht und somit eine Absicherung eben dieser Kenntnis von der Natur erhält. Grundlage dieser Untersuchung kann nur das menschliche Gehirn, als das erkennende Organ des Subjektes sein. Die Untersuchung dieser Verhältnisse ist Aufgabe der monistischen Seelenlehre, die ein Teil der Physiologie ist und durch empirische Kenntnis und kritische Beurteilung unseres menschlichen Organismus und seiner Organe, besonders des Gehirns, eine anthropologische Basis für die Erkenntnis schaffen soll.

Wie kann Haeckel hieraus eine monistischen Erkenntnistheorie gewinnen? Grundlage der Erkenntnis kann für Haeckel nur die Erfahrung (Empirie) sein. Über die Sinnesorgane als Urquellen unserer Erkenntnis wird der Kontakt des Organismus mit der Außenwelt organisiert und die gewonnen Eindrücke der Sinnesorgane werden assoziativ in Gedanken geformt. Somit sind nach Haeckel alle Gedanken und Vorstellungen a posteriori erworben.

Durch weitere Assoziation dieser gewonnen Gedanken, die für Haeckel bereits Begriffe sind, entstehen neue Gedanken und Erkenntnisse, die scheinbar a priori gewonnen sind, aber auf Grund seiner oben beschriebenen Entwicklungspsychologie nur den Eindruck einer a priori gewonnen Erkenntnis hervorrufen. Wir konstruieren somit unsere Welt aus den Sinneseindrücken, die über die Sinnesorgane gewonnen werden. Wie können wir aber sicherstellen, dass die gewonnen Erkenntnisse einen direkten Bezug zur Außenwelt haben? Haeckel gibt zu, dass "eine wirklich vollkommene Erkenntnis nur in der Mathematik ... und in denjenigen Gebieten der Anorganik (der anorganischen Naturwissenschaft), welche Größenverhältnisse und quantitative Beziehungen behandeln (theoretische Physik im engeren Sinne, Astronomie, Chemie usw.)" möglich ist. [24]

Im Gegensatz dazu ist die Erkenntnissicherheit in den übrigen Naturwissenschaften, auch der Biologie, begrenzt. Sie liegt einerseits in der Grenzen unserer Beobachtung, welche uns durch die Beschaffenheit unserer menschlichen Sinnesorgane gesetzt sind. Auch ist das Leistungsvermögen der Sinnesorgane individuell unterschiedlich ausgeprägt und wird durch Anpassung oder Vererbung unterschiedlich beeinflusst. Des weiteren ist die Möglichkeit von Sinnestäuschungen zu berücksichtigen. Haeckels Argumentation weist in diesem Zusammenhang starke Anlehnung an die Ausführungen der pyrrhonischen Skeptiker aus. [25]

Dabei bezieht sich Haeckels Argumentation jedoch nur auf die Möglichkeit das zwei Argumente zu einem Sachverhalt eine gleiche Überzeugungskraft besitzen können, man sich jedoch im Gegensatz zum Skeptizismus für eine Seite notwendig entscheiden muss. Die vom Skeptizismus vertretene Schlussfolgerung, dass man sich auf Grund der Unentscheidbarkeit zwischen zwei gleichwertigen Aussagen einem Urteil enthalten soll, lehnt er deshalb strikt ab.

Zum zweiten weist Haeckel auf die Grenzen von Experimenten in den Naturwissenschaften hin, deren Ergebnisse stets abhängig von an sie gelegten Theorien sind. Ein Einzelexperiment offenbart alles aber auch nichts. Erst im Vergleich zu anderen gewonnen Ergebnissen wird es aussagefähig. Sollen Systemzusammenhänge aufgezeigt werden, dann bleibt dazu der sicherste Weg "die genetische und vergleichende Methode, die kritische Verbindung von 'Beobachtung und Reflexion', von Empirie und Spekulation." [26]

Historische Erkenntnis, die sich mit der menschlichen Geschichte - nicht im biologischen Sinne - beschäftigt, ist für Haeckel jedoch nur Spekulation, da kein beobachtbares Kriterium für ihren Wahrheitsgehalt existiert. Deshalb kann Menschheitsgeschichte nur vergleichende biologische Geschichte sein, da zur Absicherung der historischen Gesetzmäßigkeiten stets die Grundgesetze der Natur notwendig sind.

Sollen die Erscheinungen des individuellen Bewusstseins erklärt werden, dann ist die introspektive Methoden auch für Haeckel der einzig mögliche Weg. Hierbei bleibt es aber bei einem Erklärungsmodell für das einzelne Individuum. Soll das Prinzip des Bewusstseins geklärt werden, so kann dies nur in einer vergleichend genetischen Betrachtung der psychischen Phänomene und der physikalisch-chemischen Prozesse des Hirnes geschehen.

Wie kann nun Haeckel aus der selbst zugestandenen Beschränktheit von naturwissenschaftlicher Erkenntnis ein einheitliches Welterklärungsprinzip im Sinne des Monismus gewinnen?

Die Methode die er wählt ist relativ einfach. Zum einen benötigt er ein fundamentales Weltprinzip und zum anderen ein allgemeines Gesetz zur vollständigen Beschreibung der Entwicklung bzw. Entfaltung dieses Weltprinzips.

Fundamentales Weltprinzip des Haeckelschen Monismus ist das Substanzgesetz. Hierbei ist anzumerken, dass dieses Fundamentalgesetz im Laufe der Zeit von Haeckel bedeutend erweitert wurde. Besteht in den Welträthseln (Haeckel 1899) das Substanzgesetz noch aus zwei Bestandteilen - dem Grundgesetz von der Erhaltung des Stoffes nach Antoine Laurent de Lavoisier (1743-1794; Konstanz der Materie) und dem Grundgesetz von der Erhaltung der Kraft nach Julius Robert Mayer (1814-1878) [27] und Helmholtz (Konstanz der Energie) -, so kommt in den Lebenswundern von 1904 als drittes Attribut das Empfindungsprinzip der Substanz (= Psychoma) hinzu und 1914 sind die drei Attribute oder Grundeigenschaften der Substanz - die raumerfüllende Materie (= Stoff) nach Paul Henri Thiry d'Holbach (1723- 1789) [28] und Büchner, die wirkende Energie (= Kraft) nach Ostwald und die empfindliche Weltseele (= Psychom) nach Ernst Mach (1838-1916) und Max Verworn (1863-1921). [29] Haeckel nutzt in seinen späten Schriften die Psychomatik als Fundamentalprinzip zum Entwurf des Pantheismus.

Ein allgemeines Entwicklungsgesetz findet Haeckel in der Evolutionstheorie Darwins. Um sie jedoch in das geforderte allgemeine und allgültige Gesetz zu transformieren, muss er nachweisen, dass dieses nicht nur für die Entwicklung der organischen Natur, sondern auch für die Entwicklung der gesamten Natur, also Organik und Anorganik gilt.

Erstes Postulat der Haeckelschen Evolutionstheorie ist die monistische Anthropologie, die gestützt auf sein Biogenetisches Grundgesetz, den Nachweis zu erbringen versucht, dass der Mensch sich in direkter Linie aus den einfachsten Grundformen der organischen Materie entwickelt hat. Beweise für dieses Prinzip treten, so Haeckel, in der vergleichenden Anatomie und Morphologie, in der vergleichenden Physiologie, in den ontogenetischen Aussagen über die embryologische Verwandtschaft und den paläontologischen Tatsachen offen hervor. Charakteristisch für Haeckels Erkenntnismonismus ist die naive Sicherung von Erkenntnis, indem postulierte Gesetzmäßigkeiten zur Begründung von Theorie dienen. Er bewegt sich somit in einem circulus vitiosis, wenn das was zur Erklärung und Begründung dienen soll zur Erkenntnisgrundlage wird.

Um das Entwicklungsgesetz auch auf die anorganische Materie anwenden zu können musste Haeckel den Nachweis erbringen, dass sich die anorganischen Stoffe im Prinzip nicht von den organischen Stoffen unterscheiden. Deshalb veröffentlichte er im Jahre 1917 in Fortführung des bereits 1878 in der Concordia zu Wien gehaltenen Vortrages Zellseelen und Seelenzellen (1878) die Schrift Kristallseelen (1917), um die These zu begründen:

"Alle Substanz besitzt Leben, anorganische ebenso wie organische; alle Dinge sind beseelt, Kristalle so gut wie Organismen. Unerschütterlich erhebt sich aufs neue die alte Überzeugung von dem inneren einheitlichen Zusammenhänge alles Geschehens, von der unbegrenzten Herrschaft allgemeingültiger Naturgesetze: Nach ewigen, ehernen, großen Gesetzen müssen wir alle unseren Daseins Kreise vollenden! Was Goethe vor hundert Jahren mit seinem wunderbar tiefen Naturverständnis geahnt und mit unvergleichlichen Dichterworten in Weimar und Jena prophetisch ausgesprochen hatte, das ist heute zu strahlenden Sonnenlichte wissenschaftlicher Erkenntnis und Wahrheit geworden." [30]

Den Nachweis über die Beseeltheit der anorganischen Stoffe führte Haeckel, indem er aufzuzeigen versuchte, dass auch den Kristallen Eigenschaften des Lebens wie Wachstum, Ernährung, Vermehrung, Hautbildung, Stoffwechsel, Kernbildung, Exkretion, Regeneration, Bewegung und Fühlung zukommen. Die naive Übertragung von Erkenntnissen über die organischen Natur auf die Gegenstände der anorganischen Natur, wie die Beseelung von Kristallen, stieß vor allem bei den Gegner Haeckels, wie dem Keplerbund, auf starken Widerspruch.

In der Bundeszeitschrift der Keplerbundes Unsere Welt schreibt Dennert über Haeckels Kristallseelen, "Es klafft nun einmal eine große Kluft zwischen lebenden und leblosen Naturkörpern und läßt alle monistischen Bemühungen vergeblich erscheinen. Da muß es Haeckel natürlich sehr am Herzen liegen, alles zu versuchen um diese Kluft auszufüllen, dies ist das Bestreben des genannten Buches. ... Dazu trägt schon die apodiktische Weise des Verfassers bei, die völlige Verwischung der Grenzen zwischen Tatsache und Hypothese, und vor allem auch die Anwendung gelehrter Fremdwörter, wo die Beweise fehlen. Andererseits wird ein Kenner Haeckel'scher Beweisführung sich von alledem nicht irreführen lassen, sondern das Buch mit seinen öden und trockenen Behauptungen im höchsten Grade unbefriedigt aus der Hand legen.

Zusammenfassend fährt Dennert fort: "Solange es Haeckel nicht gelingt nachzuweisen, daß die Kristalle, seien es starre oder flüssige, zweckmäßige Einrichtungen und Vorrichtungen besitzen, d.h. also solche, die zur Erhaltung ihres Daseins nötig sind ohne die sie unwiederbringlich in eine andere Daseinsform (Tod) versinken, solange ist sein Reden von Kristallseelen usw. eine neue, auch ihm selbst unbewußte, darum aber doch schwerwiegende Irreführung, die auf das Entschiedenste zurückzuweisen ist, da sie die Natur fälscht und verkümmert und ihren wahren Reichtum entwertet." [31]

Die Propagierung der monistischen Entwicklungsbiologie

Um breite Schichten der Bevölkerung für seinen auf der Entwicklungsbiologie beruhenden Monismus zu gewinnen bediente sich Haeckel verschiedener Wege und Methoden. Neben umfangreichen wissenschaftlichen Publikationen wurden vor allem über die Vertriebswege des Deutschen Monistenbundes Volksausgaben und populäre Aufsatze in Umlauf gebracht. Des weiteren initiierte Haeckel ein umfangreiches Vortragsprogramm des Monistenbundes zur Darstellung der modernen Entwicklungsbiologie. Maßgebend dabei waren vor allem Wilhelm Bölsche und Wilhelm Breitenbach sowie Haeckels langjähriger Privatsekretär Heinrich Schmidt. Von einer umfangreichen eigenen Vortragstätigkeit vor nicht wissenschaftlichen Publikum nahm Haeckel oft Abstand, da er seine eingeschränkte Fähigkeit zu mündlichen Vorträgen selbst sehr kritisch einschätzte.

Ausnahmen bilden Haeckels drei Vorträge über den Entwicklungsgedanken am 14. 16. und 19. April 1905 in der Singakademie in Berlin sowie die Festrede zur hundertjährigen Geburtstagsfeier von Charles Darwin am 12. Februar 1909 über das Weltbild von Darwin und Lamarck im Volkshaus zu Jena.

Als drittes erhoffte sich Haeckel durch die Einrichtung eines Museums für Abstammungslehre der Entwicklungstheorie endgültig zu allgemeine Anerkennung zu verhelfen. Die Einrichtung eines Phyletischen Museums in Jena zur Propagierung der Evolutionstheorie wurde durch den DMB aktiv unterstützt.

Nachdem für dieses Vorhaben durch den Herzog von Meiningen 20.000 Mark, die Carl-Zeiss-Stiftung 30.000 Mark, von Haeckel aus dem Erlös seiner Welträthsel 30.000 Mark und von Haeckels Schwiegersohn, dem Verleger Hans Meyer in Leipzig, 10.000 Mark zu Verfügung gestellt wurden, nahm der DMB durch die Einrichtung einer Ernst-Haeckel- Stiftung die Sammlung der fehlenden Mittel durch Beiträge von Personen aus allen Bevölkerungsschichten in Angriff. Das Phyletische Museum sollte in eine "heilige Dreieinigkeit, in deren Dienste Ernst Haeckels Lebensarbeit geleistet wurde", strukturiert werden. Hierzu sollte ein Phylogenetisches Museum, das Ernst-Haeckel-Archiv und ein Zimmer der großen Biologen mit monistischer Bibliothek und Vortragssaal eingerichtet werden.

Zu einer derartigen Einrichtung des Phyletischen Museums kam es jedoch nicht, da Haeckel mit seinem Nachfolger Ludwig Plate (1862- 1937) in heftige Auseinandersetzungen geriet. Plate vertrat die Auffassung, dass, nach Haeckels Rücktritt vom Lehrstuhl der Zoologie, er allein über die Verwendung der Räumlichkeiten zu entscheiden hatte. Somit befinden sich heute das Haeckel-Archiv und die Bibliothek des Monismus im Museum und Institut "Ernst-Haeckel-Haus", und ein Saal der großen Biologen wurde nicht eingerichtet. Jedoch wurde die Einrichtung des Phyletischen Museums ein voller Erfolg.

Monistische Weltanschauung als Religionsersatz

Die Lehre von der "Allbeseeltheit" der Natur, wie sie Haeckel 1917 in den Kristallseelen formulierte zeigt sich in Form einer religiösen Anschauung, die er in seinen früheren Jahren strikt ablehnte.

So bedankt sich Haeckel anlässlich seines 80. Geburtstages im Jahre 1914 in den Flugschriften des Monistenbundes bei allen Gratulanten zu seinem Ehrentage. Viele Geschenke seien so gestaltet, dass sie Haeckel in eine so andachtsvolle Stimmung versetzten, wie sie nur "die innige Verbindung von 'Kunst und Wissenschaft' den Grundton unserer monistischen 'Naturreligion' hervorbringen kann." [32] Interessant ist hierbei, dass der "alte" Haeckel hier von Naturreligion und nicht wie in seinen früheren Werken, von Naturphilosophie spricht.

Allgemein erweckt die Dankschrift Haeckels den Anschein religiöser Tendenzen. So spricht er in Bezug auf die im Auftrag von Wilhelm Ostwald von Heinrich Schmidt herausgegebene Denkschrift Was wir Ernst Haeckel verdanken, von einen prachtvollen Schrein, welche ihm von seinen Bundesgenossen am 27. Februar 1914 in Jena über reicht wurde. "Diese 'Monistische Bundeslade' wird später als kostbares und eigenartiges Kunstwerk im Gedenksaale des Phyletischen Museums in Jena eine seiner schönen Zierden bilden." [33]

Auch die von Haeckel postulierte Substanzlehre, findet in seinen Spätwerken, wie z.B. Gott-Natur - Theophysis (1914), enge Anlehnungen an die Einheitslehre der katholischen Religion. So überführt er den scheinbaren Gegensatz der drei Grundrichtungen der Substanzlehre, Materialismus, Energetik und Psychomatik in ein Harmoniegefüge, welches stark an die Trinität von Gottvater (Energie), Gottsohn (Materie) und heiliger Geist (Psyche) erinnert. So schreibt Haeckel "Ich betrachte jetzt diese 'Trinität der Substanz' als die einfachste (provisorische) Lösung des fundamentalen Welträtsels und glaube, daß dadurch auch das physikalische Gravitationsgesetz und das chemische Grundgesetz von der 'Wahlverwandtschaft oder Affinität' seine tiefere Erklärung findet. ... Nach meiner persönlichen Überzeugung ist dieser konsequente 'naturalistische Monismus' (oder auch Hylozoismus) geeignet, viele sich bekämpfende Einzelrichtungen des Denkens zu versöhnen.

Haeckel stellte sich zwar weiterhin entschieden gegen jede Art von Erkenntnistheorie, die mittels "sogenannter 'Offenbarung', von übernatürlicher Revelation oder 'Apocalypsis'" [34]; ebenso wie die mystische sogenannte "Intuition" und die Erkenntnis der Dinge "A priori", durch 'inneres Erleben' oder ähnliche "Mysterien des Wunderglaubens" zu ihrer Welterkenntnis kommt, lässt aber die Probleme die mit seiner Substanzlehre verbunden sind, woher die Materie und Energie ihren Anfang hat, offen.

Auch wenn Haeckels Verhältnis zur christlichen Religion und seiner Naturphilosophie bzw. "Naturreligion" vor allen in seinen letzten Lebensjahren durchaus differenziert zu zeichnen ist, bleibt Haeckels größter Verdienst für die biologischen Wissenschaften, neben seinen taxonomischen Arbeiten, die Propagierung und der Kampf um die Durchsetzung der Evolutionsbiologie, auch wenn Detailfragen des evolutionären Prozesses heute anders gesehen werden.


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Anmerkungen

1 Blätter des Deutschen Monistenbundes. Hg. von Heinrich Schmidt, München, III. Jg., H. 21, März 1908, S.82,

2 Vgl. Otto Immanuel Bryk: Die Naturphilosophie und ihre Überwindung durch die erfahrungsgemäße Denkweise (1800-1850). Leipzig 1909.

3 Vgl. Matthias Jacob Schleiden: Klassische Schriften zur Zellenlehre: Matthias Jakob Schleiden, Theodor Schwann u. Max Schulze. Eingel. und bearb. von Ilse Jahn. 2. Aufl., Frankfurt a.M. 2003 (= Ostwalds Klassiker der exakten Wissenschaften, 275).

4 Vgl. Olaf Breidbach: Die Materialisierung des Ichs. Zur Geschichte der Hirnforschung im 19. und 20. Jahrhundert. Frankfurt a.M. 1997

5 Vgl. Thomas Junker u. Uwe Hoßfeld: Die Entstehung der Evolution. Eine revolutionäre Theorie und ihre Geschichte. Darnstadt 2001.

6 Vgl. Michael Düsing: Protestantische Theologie, streitbarer Materialismus und Naturwissenschaft in der Epoche der allgemeinen Krise des Kapitalismus bis 1933 in Deutschland. Leipzig 1985 (Universitäts-Dissertation B).

7 Vgl. Frank Simon-Ritz: Die Organisation einer Weltanschauung. Die freigeistige Bewegung im Wilhelminischen Deutschland. Gütersloh 1997.

8 Vgl. Carl Vogt: Zoologische Briefe. Naturgeschichte der lebenden und untergegangenen Tiere. 2 Bde, Frankfurt a.M. 1851.

9 Vgl. Ludwig Büchner: Kraft und Stoff. Empirisch-naturphilosophische Studien in allgemein-verständlicher Darstellung. Frankfurt a.M. 1855. - Vgl. Heiko Faber: Ludwig Büchner (1824-1899) und der naturwissenschaftliche Materialismus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Heidelberg 2002 (Universitäts-Dissertation 2003). - Antimo Negri. Trittico materialistico: Georg Büchner, Jakob Moleschott, Ludwig Büchner. Roma 1981.

10 Vgl. Andreas W. Daum: Wissenschaftspopularisierung im 19. Jahrhundert. Bürgerliche Kultur, naturwissenschaftliche Bildung und die deutsche Öffentlichkeit, 1848-1914. 2., erg. Aufl., München 2002. - Volker Drehsen u. Walter Sparn: Vom Weltbildwandel zur Weltanschauungsmethode. Krisenwahrnehmung und Krisenthematisierung um 1900. Berlin 1996. - Horst Groschopp: Dissidenten: Freidenkerei und Kultur in Deutschland. Berlin 1997. - Siegfried Heimann u. Frank Walter: Religiöse Sozialisten und Freidenken in der Weimarer Republik. Bonn 1993. - Frank Simon-Ritz: Die Organisation ... - Paul Ziche (Hg.): Monismus um 1900: Wissenschaftskultur und Weltanschauung. Berlin 2000 (= Ernst-Haeckel-Haus-Studien, 4).

11 Ostwald entdeckte 1888 das nach ihm benannte Verdünnungsgesetz für organische Säuren, 1909 erhielt er den Nobelpreis für Chemie. Er verfasste viele Lehrbücher, war Mitbegründer der 1887 erschienen Zeitschrift für physikalische Chemie und von 1901 an auch Herausgeber der Annalen der Naturphilosophie. Er entwickelte die "energetischer Monismus" genannte Lehre (Energetik,). - Verhältnis von Ostwald und Haeckel vgl. Rosemarie Nöthlich, Heiko Weber, Uwe Hoßfeld, Olaf Breidbach u. Erika Krauße (Hg.) (2006): "Substanzmonismus" und / oder "Energetik". Der Briefwechsel von Ernst Haeckel und Wilhelm Ostwald (1910-1918). Zum 100. Jahrestag der Gründung des Deutschen Monistenbundes. Berlin 2006.

12 An der Gründungsversammlung am 11. Januar 1906 im Zoologischen Institut zu Jena nahmen neben E. Haeckel und A. Kalthoff auch M.H. Baege, Brauckmann, W. Breitenbach, R.H. Francé, W. Keller, Ch. Carstens, Fr. Kaufmann, Dr. Lipsius, H. Schmidt, F. Siebert; C.H. Thiele und E.H. Ziegler persönlich teil.

13 Evangelischer Theologe, seit 1888 Pfarrer an St. Martini in Bremen. Kalthoff vertrat eine "Sozialtheologie". Er bezweifelte die Existenz des geschichtlichen Jesus (Christenmythus). Für die Entstehung des Christentums seien die in den Evangelien ausgeformten sozialen und ethischen Gedanken der Zeit allein entscheidend.

14 Fechner gilt als Begründer der Psychophysik, vertrat eine pantheistische Naturphilosophie, in der er versuchte, das Leib-Seele- Problem im Rahmen eines psychophysischen Parallelismus zu lösen. In seiner 1876 erschienenen Vorschule der Ästhetik entwickelt Fechner eine auf Erfahrung und Induktion gegründete "Ästhetik von unten".

15 Vgl. humanismus aktuell, 14, S.122ff [d. Red.].

16 August Messer: Die Philosophie der Gegenwart. 2., umgearb. Aufl., Leipzig 1918, S.44.

17 In seiner berühmten Philosophie zoologique (1809, 2 Bde.) stellt er die Theorie von der Unveränderlichkeit der Arten in Frage. Der Lamarckismus von Lamarck (1809) begründete die Evolutionstheorie, deren wichtigster Bestandteil die Annahme einer "Vererbung erworbener Eigenschaften" ist.

18 Die Zahl von 25 Übersetzungen basiert auf einer im Ernst-Haeckel- Archiv existierenden handschriftlichen Liste von Haeckels Hand.

19 Die Übersetzung erschien 1900 unter dem Titel The riddle of the universe at the close of the nineteenth century in New York.

20 Brief von Emil Strauß an Ernst Haeckel vom 25.04.1899, Archiv des Ernst-Haeckel-Hauses in Jena. - Emil Strauß (1845-1903), Buchhändler und Verleger.

21 Brief von Emil Strauß an Ernst Haeckel vom 17.09.1899, Archiv des Ernst-Haeckel-Hauses in Jena.

22 Vgl. Arnold Braß: Das Affenproblem. Professor Ernst Haeckels Darstellungs- und Kampfesweise sachlich dargelegt nebst Bemerkungen über Atmungsorgane und Körperform der Wirbeltier-Embryonen. Mit 40 Abbildungen. Leipzig 1908. - Heinrich Schmidt: Haeckels Embryonenbilder. Dokumente zum Kampf um die Weltanschauung in der Gegenwart. Frankfurt a.M. 1909. - Wilhelm Teudt: Haeckels "Fälschungen" und die 46 Zoologen ... "Im Interesse der Wissenschaft!" Die wichtigsten Dokumente zum Fall Brass-Haeckel nebst Erläuterungen und Ergebnis (1-5 Taus.). Godesberg 1909.

23 Erich Wasmann: "Fälschungen der Wissenschaft." Ein Wort zur Aufklärung. In: Apologetische Rundschau. Monatsschrift zur Verteidigung und Hebung katholischen Lebens und Wissens für Gebildete aller Stände, 4. Jg., 5. H., Febr. 1909, S.165. - Vgl. K.H. Scharf u. K.H. Bolkart: Ernst Haeckel: Grenzgänger zwischen Wissenschaft und Weltanschauung. Zum 160. Geburtstag von Ernst Haeckel. In: Praxis der Naturwissenschaften, 1973, 43, S.36-44.

24 Ernst Haeckel: Gott-Natur (Theophysis). Studien über monistische Religion. Leipzig 1914, S.14.

25 Vgl. Sextus Empiricus: Grundriß der pyrrhonischen Skepsis. Eingeleitet und übersetzt von Malte Hossenfelder. Frankfurt a.M. 1985.

26 Ernst Haeckel: Gott-Natur, S.18.

27 Mayer begründete in seinen 1842 erschienenen Aufsatz Bemerkungen über die Kräfte der unbelebten Natur und ausführlicher in seiner 1845 erschienenen Schrift Die organische Bewegung in ihrem Zusammenhange mit dem Stoffwechsel das Gesetz von der Erhaltung der Energie.

28 Das von einem strengen Materialismus und einem konsequenten Atheismus getragene Buch fand zwar breite Aufmerksamkeit, stieß unter den Denkern der Aufklärung jedoch vornehmlich auf Ablehnung. Das französische Parlament ordnete sogar die öffentliche Verbrennung der Schrift an.

29 Verworn war Physiologe und betonte besonders die Wichtigkeit der Erforschung der einzelligen Organismen für die Erkenntnis der allgemeinen Lebenserscheinungen. Wichtige Werke: Psychophysiologische Protistenstudien 1889, Das Neuron in der Anatomie und Physiologie 1900, Mechanik des Geistes 1906, Die Mechanik der Geisteslebens 1907, Kausale und konditionale Weltanschauung 1912 und Die biologischen Grundlagen der Kulturpolitik 1916.

30 Ernst Haeckel: Kristallseelen. Studien über das organische Leben. Leipzig 1917, S.VIII.

31 Unsere Welt. Illustrierte Monatsschrift zur Förderung der Naturerkenntnis. Unter Mitwirkung zahlreicher Fachgelehrten, hg. vom Keplerbund, 10. Jg., H. 5, September-Oktober 1918, S.207.

32 Ernst Haeckel: Dank dem Monistenbunde. Sonderdruck aus dem Monistischen Jahrhundert, 3. Jg., H. 18, Leipzig 1914, S.465-477.

33 Ernst Haeckel: Dank dem Monistenbunde ..., S.468.

34 Ernst Haeckel: Dank dem Monistenbunde ..., S.473.


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Bildunterschriften

S. 44: Bibel oder Darwin. Als Protest gegen das von den Gerichten Tennesses gesprochene Urteil in der Anti-Affenkampagne proklamieren die Vertreter der Gorillas, Orang-Utans, Schimpansen und Gibbons einen Urwaldkongress, dass sie jede Verwandtschaft mit den Gesetzmachern Tennesses ablehnen. (Zeichnung von W. Kobisch) In: ULK, Wochenschrift des Berliner Tageblatt, 54. Jg., Nr. 31, 31. Juli 1925 (Titelblatt). Archiv des Ernst-Haeckel-Haus.

S. 47: Haeckel in Berlin. "Sie, kommen mit Ihrer verdammten Fackel nicht unseren heiligsten Gütern zu nahe!" Aus: Lustige Blätter, (1900), No. 18, S. 5. Archiv des Ernst-Haeckel-Haus.

S. 48: "Häckels Welträtsel in Rußland" Aus: Jugend, Nr. 20, Archiv des Ernst-Haeckel-Haus.

S. 53: Haekelei mit Haeckel. Harnack: Sie mit Ihren Käferbeinen! Sie kommen ja kaum vorwärts. Haeckel: Sie mit Ihren Krebsbeinen. Sie kommen entschieden schnell rückwärts! In: ULK, Nr. 24, 1912. Archiv des Ernst-Haeckel-Haus.

S. 54: "Aufwändige Ausstattung zu Haeckels Vortrag über Das Menschenproblem und die Herrentiere von Linné" im Jenaer Volkshaus (1907). Archiv des Ernst-Haeckel-Haus.

S. 55: Haeckel in Berlin: Der berühmte Naturforscher und Verfasser der "Welträtsel" bei einem seiner Vorträge im Berliner Beethovensaal. Nach dem Leben gezeichnet von Fritz Koch. Aus: Berliner Illustrierte Zeitung, Nr. 18, S. 285, Berlin, 1905. Archiv des Ernst-Haeckel-Haus.


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Quelle:
humanismus aktuell, Heft 19 - Herbst 2006, Seite 43-55
Hefte für Kultur und Weltanschauung
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den 17. Januar 2007