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KIRCHE/0013: Der Unergründliche (Ingolf Bossenz)


Der Unergründliche

Von Ingolf Bossenz, 22.11.2010


Die Kader entscheiden alles, meinte einst Stalin. Diese Zeiten sind lange vorbei. Ohne effektive PR-Strategie läuft heute gar nichts. Das zeigte erst jetzt wieder der Vatikan. Der Ankündigung des Deutschlandbesuchs von Benedikt XVI. vergangene Woche folgt diese Woche die Vorstellung eines Buches mit Interviews, die der Kirchenchef seinem Lieblingsjournalisten gab. Und genau zwischen diese Sterntage platzierte der Heilige Stuhl die Freigabe von Auszügen aus dem neuen Buch, die der Weltöffentlichkeit signalisieren, dass der in den letzten Monaten arg geschmähte Pontifex doch eigentlich ein ganz famoses Haus ist. Besonders die Mitteilung Ratzingers, in »begründeten Einzelfällen« könnte die Verwendung von Kondomen nützlich sein, wurde in der veröffentlichten Meinung umgehend als »spektakuläre Kursänderung« und »sexuelle Revolution« bejubelt.

Natürlich ist jeder noch so kleine Vernunftzuwachs an der Spitze der Romkirche zu begrüßen. Aber mögen die Wege des Herrn auch unergründlich sein, noch unergründlicher sind die Wege seines Stellvertreters. Wenn es sich wirklich um eine so bedeutende Entscheidung handelt, warum verkündet Benedikt sie dann eher beiläufig in einem Interview? Weil ihm seine späte Einsicht peinlich ist? Oder weil er sie auf diese Weise bei nächster Gelegenheit leichter relativieren kann?


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Quelle:
Ingolf Bossenz, November 2010
Der Schattenblick veröffentlicht diesen Artikel
mit der freundlichen Genehmigung des Autors.
Erstveröffentlicht in Neues Deutschland vom 22.11.2010
URL: http://www.neues-deutschland.de/artikel/184638.der-unergruendliche.html


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. November 2010