tierrechte 4.15 - Nr. 73, Dezember 2015
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V
Vegan auf dem Vormarsch
von Steffanie Richter
Über wenige Themen wird so erbittert gestritten wie über den Fleischkonsum und das damit verbundene Leid von Millionen von Tieren. Fleisch essen ist nicht länger eine Selbstverständlichkeit. Nachdem die vegane Lebensweise jahrzehntelang belächelt wurde, erfährt sie nun einen unvergleichlichen Boom, der mehr zu sein scheint als ein Modetrend. Doch dies ist nicht genug. In Anbetracht der globalen Herausforderungen, brauchen wir neue Formen der Landbewirtschaftung.
Zugegeben, der Anteil der Menschen in Deutschland, die sich
vegan oder vegetarisch ernähren, mutet nach wie vor bescheiden an.
Der Vegetarierbund Deutschland (VEBU) geht in seinen
aktuellsten Statistiken von Januar 2015 von rund 7,8 Millionen
Vegetariern (rund 10 Prozent der Bevölkerung) und 900.000 Veganern
(1,1 Prozent) in Deutschland aus. Das Institut für Demoskopie
Allensbach (IfD) und das Markt- und Meinungsforschungsinstitut YouGov
bestätigen diese zaghafte, aber stetige positive Entwicklung.
Statistiken und nackte Zahlen sagen natürlich nicht alles.
Entscheidend ist, dass sich etwas Grundsätzliches gewandelt hat:
Fleisch essen ist in unserer Gesellschaft nicht länger eine
Selbstverständlichkeit. Der Konsum von Tieren und Tierprodukten wird
von vielen Menschen nicht mehr als eine reine Privatsache akzeptiert,
sondern immer öfter in Zusammenhang mit ethischen, ökologischen und
gesundheitlichen Fragestellungen gebracht. Dies zeigt sich auch an
den großen und kleinen Demonstrationen und Initiativen gegen
Schlachthöfe, Mastanlagen und für eine andere Landwirtschaft.
Gleichzeitig nimmt die Zahl veganer Restaurants, Schuhgeschäfte und Modelabels - vor allem in Großstädten - stetig zu, die Mensen großer deutscher Universitäten bieten fleischlose Tage und eine große Auswahl an vegetarischen Menüs an, Literatur über unseren Umgang mit Tieren, vegane Magazine und Kochbücher sind Topseller. Immer mehr Stars bekennen sich öffentlichkeitswirksam dazu, auf Fleisch und Milchprodukte zu verzichten und sind damit Vorbilder für viele junge Menschen. Vegane Messen wie die Veggieworld stoßen auf beachtliches, auch mediales Interesse. Auch bei der Wissenschaft wendet sich das Blatt zugunsten einer fleischlosen oder zumindest fleischreduzierten Ernährung. Dazu tragen zum Beispiel die aktuellen Studien der Weltgesundheitsorganisation zum erhöhten Krebsrisiko beim Konsum von verarbeitendem Fleisch wie Wurst bei. Bis Ende der 1980er Jahre hat sich die Zahl der wissenschaftlichen Veröffentlichungen zur vegetarischen Ernährung im Vergleich zu den 1960er-Jahren mehr als verachtfacht. Im Mittelpunkt stehen heute und im Gegensatz zu früher meist die präventiven und therapeutischen Aspekte der vegetarischen bzw. veganen Ernährung.
Die Agrarwirtschaft beobachtet diese Entwicklung mit Sorge. Für Beunruhigung sorgt vor allem die Tatsache, dass eine steigende Zahl von Verbrauchern keine andere Möglichkeit als die vegane Ernährung sieht, um Tiere zu schützen. Zu diesem Schluss kommt Prof. Dr. Ulrich Hamm von der Universität Kassel in seiner Studie zum Image der Landwirtschaft unter Veganern. Diese Entwicklung werde noch solange weitergehen, wie Negativbeispiele für tierquälerische Haltungsbedingungen dokumentiert würden. Der Trend zu veganer Ernährung ist nach Ansicht des Agrarökonoms weitaus mehr als ein Modetrend oder ein Trend zu gesunder Ernährung. Ähnlich wie der Bio-Boom seit den 1970er Jahren würde er die Denk- und Handlungsweisen in der Landwirtschaft nachhaltig verändern.
Seit einigen Jahren steht die industrielle Massentierhaltung regelmäßig im Zentrum des medialen Interesses. Was Anfang der 90er Jahre mit dem Skandal um Dioxin in Futtermitteln oder BSE begann, setzte sich über die Schweinepest, Vogelgrippe, Gammelfleisch und Antibiotikaresistenzen fort. Während das mediale und gesellschaftliche Augenmerk zunächst auf die Auswirkungen für Mensch und Umwelt gerichtet war, berichten die Medien inzwischen fast täglich über das immense Tierleid in der Intensivtierhaltung. Mit Tierrechten und Veganismus befassen sich in Deutschland Hunderte Blogs, Facebook-Gruppen und Twitter-Accounts.
Der Markt für vegane Lebensmittel boomt. Zahlreiche Hersteller bieten eine immer größere Palette pflanzlicher Nahrungsmittel an, mit denen sie Millionen von Kunden erreichen. Nach einer aktuellen Untersuchung der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) haben sich die Umsätze mit Fleischersatzprodukten und pflanzlichen Brotaufstrichen in den vergangenen fünf Jahren fast verdoppelt. Die Nachfrage nach Wurst sank dagegen seit 2008 laut GfK mengenmäßig um acht, die nach Fleisch sogar um neun Prozent. 2014 haben bereits über elf Millionen Verbraucher in Deutschland pflanzliche Brotaufstriche bzw. Fleischersatzprodukte gekauft. Mit großem Erfolg haben sich in den letzten Jahren Supermarktketten mit einem veganen Vollsortiment (in erster Linie in Großstädten) etabliert. Vegetarische und vegane Produkte gibt es inzwischen auch in jedem Supermarkt. Positiv ist, dass das große Angebot eine wichtige Voraussetzung dafür darstellt, dass die Anzahl an vegetarisch und vegan lebenden Menschen weiter steigt - Angebot und Nachfrage verstärken sich gegenseitig.
Die Kehrseite jedoch ist, dass zunehmend die großen Fleisch- und Wurstfabrikanten wie Rügenwalder und Wiesenhof in die vegetarische und vegane Sparte drängen. Deutschlands größter Fleischproduzent Tönnies will laut "Lebensmittel Zeitung" (LZ) in die Produktion von Tofu-Würstchen und vegetarischen Schnitzeln einsteigen. Einerseits werden dadurch neue Konsumenten erreicht und vegetarische und vegane Produkte erhalten eine breitere Akzeptanz. Andererseits birgt diese enorme Konkurrenz für die kleineren, ausschließlich vegan produzierenden (und oftmals tierethisch motivierten) Hersteller die Gefahr, aus den Regalen der Supermärkte - und damit vom Markt verdrängt zu werden. Für die Fleischkonzerne hingegen sind vegane Produkte nur eine Sparte von vielen, die in erster Linie dazu dient, neue gewinnbringende Absatzmärkte zu erschließen. Und leider bedeutet die Produktion veganer Wurst der Fleischkonzerne nicht, dass deshalb weniger Tiere gehalten und geschlachtet werden. Es bedeutet letztlich, dass mit dem Kauf veganer Produkte von Fleischfabrikanten Konzerne unterstützt werden, die ihren Hauptprofit mit der Produktion und dem Verkauf von "herkömmlichen" Fleisch- und Wurstwaren machen.
Obwohl immer mehr Menschen in Deutschland ihren Fleischkonsum reduzieren und beim Kauf vermehrt auf tier- und umweltverträgliche Herstellung achten, hat die industrielle Tierhaltung stark zugenommen. So wurden im Jahr 2014 insgesamt mehr Hühner, Schweine und Rinder geschlachtet als je in einem Jahr zuvor. Laut Meldung des Statistischen Bundesamts verließen rund 8,2 Millionen Tonnen Fleisch die gewerblichen Schlachthäuser, was gut 100.000 Tonnen oder 1,3 Prozent mehr als im Vorjahr waren. Den größten Anteil hatte die Produktionssteigerung von Hühnerfleisch. Sie betrug auf das Gewicht bezogen 6,7 Prozent (971.000 Tonnen, im Vergleich zu 910.000 Tonnen im Vorjahr). Gleichzeitig geht der Trend in der Landwirtschaft weiter in Richtung Industrialisierung. Fleisch und Milch gehen zu immer größeren Anteilen in den Export, die Gülle aber bleibt hier und belastet Luft, Böden und Gewässer. Hinzu kommen die globalen Folgen.
Zahlreiche Studien machen auf die ökologischen Folgen der Produktion tierischer Lebensmittel und Produkte (z.B. Leder) aufmerksam. Bereits 2006 identifizierte die Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) in ihrer Publikation "Livestock's Long Shadow" die Nutztierhaltung als eine der Hauptverantwortlichen an den von Menschen verursachten Treibhausgasemissionen. Das Worldwatch Institute geht in der Studie "Livestock and Climate Change" davon aus, dass die Tierhaltung für 51 Prozent des weltweiten Ausstoßes von Treibhausgasen verantwortlich ist. Hinzu kommen weitere Probleme: Die Ackerflächen zur Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung werden nach einer 2015 veröffentlichten Studie der Naturschutzorganisation WWF zu Ernährung und Ressourcenverbrauch immer knapper.
Eine tierfreundliche Alternative ist das Konzept der bio-veganen Landwirtschaft, die das Ziel verfolgt, von der indirekten Tierausbeutung wegzukommen. Denn auch biologisch angebautes Obst und Gemüse wird mit Hilfe von tierischen Düngern kultiviert. Neben dem Tiermist ist die Verwendung von Schlachtabfällen als Düngemittel besonders in der Bio-Landwirtschaft gängige Praxis. Die bio-vegane Landwirtschaft ist ein nachhaltiges und ressourcenschonendes Anbaukonzept, das ohne die Haltung sogenannter Nutztiere und deren Mist oder Schlachtabfällen als Dünger auskommt. Noch wird diese Form der Landbewirtschaftung belächelt. Doch solche alternative Anbauformen werden in Zukunft immer wichtiger werden. Denn in Anbetracht von Hunger, globalen Umweltschäden, Klimawandel, Artensterben und einer rasant wachsenden Weltbevölkerung werden wir die Produktion unserer Lebensmittel und unsere Ess- und Lebensgewohnheiten notgedrungen ändern müssen.
Der Bundesverband Menschen für Tierrechte lehnt die Nutzung von Tieren grundsätzlich ab. Er setzt sich für eine vegane Lebensweise sowie für eine ökologische und tierfreundliche Nahrungsmittelerzeugung ein.
www.culinaria-vegan.de
http://biovegan.org
www.veganorganic.ne
Das Wort "vegan" stammt vom Briten Donald Watson und setzt sich aus den ersten drei und letzten zwei Buchstaben des englischen Ausdrucks "vegetarian" zusammen. Für Watson und die 1944 gegründete "Vegan Society" hatte das Symbolkraft: Der Veganismus setzt bei der vegetarischen Lebensweise an und führt sie konsequent zu Ende. (Quelle: Lexikon der Mensch-Tier-Beziehungen, 2015)
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Quelle:
tierrechte 4.15 - Nr. 73/Dezember 2015, S. 18-19
Infodienst der Menschen für Tierrechte -
Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Roermonder Straße 4a, 52072 Aachen
Telefon: 0241/15 72 14, Fax: 0241/15 56 42
eMail: info@tierrechte.de
Internet: www.tierrechte.de
tierrechte erscheint viermal jährlich.
Der Verkaufspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten.
veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Januar 2016
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