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VEGETARIERBUND/370: Tierversuche zum Wohle des Menschen? (natürlich vegetarisch)


natürlich vegetarisch 02/11 - Frühling 2011
Das VEBU Magazin

Tierversuche zum Wohle des Menschen?

Von Silke Bitz


Häufig hört man, Tierversuche seien notwendig, um Krankheiten von uns Menschen zu studieren und womöglich zu heilen. Zahlreiche Fakten zeigen aber, dass der Tierversuch "im Dienste der Medizin" nicht nur gegenüber den Tieren, sondern auch gegenüber den Menschen verantwortungslos ist. Auch für Kosmetika werden, obwohl es in der EU verboten ist, Versuche an Tieren durchgeführt. In diesem Artikel erhalten Sie kritische Einblicke und Hintergründe zum Tierversuch, erfahren, welche tierversuchfreien Forschungsmethoden es gibt, und was Sie tun können, damit Tiere in den Labors nicht weiter sinnlos und leidvoll sterben müssen.


Viele Menschen glauben, dass sie auf Medikamente verzichten müssen und die Erforschung menschlicher Krankheiten zum Erliegen kommt, wenn es keine Tierversuche mehr gibt, in denen potentielle neue Medikamente oder Behandlungsmethoden entwickelt und getestet werden können. Ein Ende der Tierversuche bedeutet jedoch nicht das Ende des medizinischen Fortschritts. Denn bei allen Heilversprechen der Verfechter/innen des Tierversuchs darf man eines nicht vergessen: Da die meisten menschlichen Krankheiten bei Tieren nicht vorkommen, werden die Symptome auf künstliche Weise in so genannten "Tiermodellen" nachgeahmt. Um zum Beispiel Parkinson auszulösen, wird bei Affen und anderen Tieren ein Nervengift in das Gehirn injiziert, das Hirnzellen zerstört. Bei Mäusen wird Krebs durch Genmanipulation oder Injektion von KrebszeIlen hervorgerufen. Einen Schlaganfall versucht man durch das Einfädeln eines Fadens in eine Hirnarterie bei Mäusen zu simulieren. Zuckerkrankheit wird durch Injektion eines Giftes in Ratten erzeugt, das die Insulin produzierenden Zellen in der Bauchspeicheldrüse zerstört. Einen "menschlichen" Herzinfarkt ahmt man an Hunden durch Zuziehen einer von außen bedienbaren Schlinge um ein Herzkranzgefäß nach.

Die am Tier künstlich hervorgerufenen "Krankheiten" haben mit den menschlichen Symptomen, die man zu simulieren versucht, jedoch nichts gemein. Tierarten untereinander sowie Mensch und Tier unterscheiden sich grundlegend in Körperbau und Stoffwechsel. Auch wichtige Aspekte der Krankheitsentstehung wie Ernährung, Lebensgewohnheiten, der Einfluss von Suchtmitteln, schädlichen Umwelteinflüssen, Stress sowie psychischen und sozialen Faktoren werden gänzlich außer Acht gelassen. Ergebnisse aus Studien mit Tieren sind daher irreführend und tragen nichts zum Verständnis über menschliche Krankheiten oder gar deren Heilung bei.

Selbst die Ergebnisse aus klinischen Studien, die meist an jungen Erwachsenen stattfinden, sind nicht einfach auf Kinder oder alte Menschen übertragbar, auch Unterschiede zwischen Männern und Frauen werden unzulänglich berücksichtigt. Wenn schon die Übertragung von Ergebnissen von einem Menschen auf einen anderen aufgrund von alters- und geschlechtsspezifischen Unterschieden problematisch ist, liegt nahe, dass der Tierversuch noch viel weniger Aufschluss über Ursachen und Heilungsmöglichkeiten menschlicher Leiden liefern kann.

Wie ein neues Medikament beim Menschen wirkt, lässt sich also auf der Grundlage von Tierversuchen nicht mit der nötigen Sicherheit feststellen. Dass man sich trotz dieser Unsicherheit auf Tierversuche verlässt, hat fatale Folgen. Immer wieder werden Medikamente, die aufgrund von Tierversuchen für sicher befunden wurden, wegen schwerer, oft sogar tödlicher Nebenwirkungen vom Markt genommenen. Allein in Deutschland sterben einer Studie der Medizinischen Hochschule Hannover zufolge 58.000 Menschen an den Folgen von Arzneimittelnebenwirkungen.

Zahlreiche Beispiele aus der Medizin belegen, dass Tierversuche nicht dazu geeignet sind, Rückschlüsse für den Menschen zu ziehen, und legen nahe, dass ein Umdenken weg vom Tierversuch notwendig ist. So wurde die Substanz TGN1412, ein Wirkstoff der Würzburger Firma TeGenero zur Behandlung schwerer Krankheiten wie Leukämie, Arthritis und Multipler Sklerose, ausgiebig unter anderem an Affen getestet. Im Tierversuch waren keine Nebenwirkungen ersichtlich. Bei den menschlichen Testpersonen jedoch traten lebensbedrohliche, bleibende Schäden auf. Schätzungsweise 7.000 Patienten erkrankten oder verstarben in Deutschland durch die Einnahme des Schmerzmittels Vioxx. Zu diesem Ergebnis kommt eine Berechnung des Kölner Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. Das Rheuma-Medikament war im Jahr 2000 erstmals zugelassen worden, wurde vier Jahre später aber wieder vom Markt genommen, weil eine Studie gezeigt hatte, dass das Präparat Herzinfarkte, Thrombosen und Schlaganfälle verursachte. Grundlage sind AOK-Verordnungsdaten und eine Vergleichsstudie mit einem anderen Schmerzmittel. Der Leiter des Instituts schätzt die Zahl der Vioxx-Opfer sogar um rund 20 % höher ein, da davon auszugehen ist, dass Privatversicherte häufiger mit dem relativ teuren, neuen Medikament behandelt wurden. In den 1990er Jahren wurde mit der sogenannten Krebsmaus der Durchbruch in der Bekämpfung der Krankheit medienwirksam gepriesen und eine Hoffnungen geweckt, die bis heute nicht erfüllt werden konnte. Denn Krebs ist zwar im Labor erfolgreich bei verschiedenen Tierarten heilbar, bislang aber nicht beim Menschen. In der Aids-Forschung wurde jahrelang beispielsweise an Affen geforscht, bis deutlich wurde, dass diese Tierarten überhaupt kein menschliches Aids bekommen. Die wesentlichen Erkenntnisse über Aids wurden ohne Tierversuche gewonnen.

Untersuchungen der amerikanischen Arzneimittelbehörde (FDA) ergaben, dass 92 % der potentiellen Medikamente, die sich im Tierversuch als wirksam und sicher erwiesen haben, nicht durch die klinische Prüfung kommen - beim Menschen zeigt sich entweder gar keine oder aber eine unerwünschte Wirkung. Eine Studie des Cambridge Hospitals und der Harvard Medical School zur Arzneimittelsicherheit über einen Zeitraum von 25 Jahren zeigte, dass rund 20 % der Medikamente, die es auf den Markt schaffen, entweder wieder zurückgenommen werden oder entsprechende Warnungen erhalten. Das "Tiermodell" bietet damit also keine objektive Sicherheit, sondern kann lediglich als Glücksspiel betrachtet werden, das im schlimmsten Fall nicht nur für die Tiere, sondern auch für Menschen tödlich endet.

Um Tier und Mensch vor Leid und Gefahren, die der Tierversuch verursacht, zu bewahren, ist ein Umstieg auf die tierversuchsfreie Forschung erforderlich. An menschlichen Zellen und mittels ausgeklügelter Computersysteme, die mit menschlichen Daten arbeiten und Stoffwechselvorgänge im Körper sehr genau darstellen können, lassen sich aussagekräftige Daten gewinnen. In Mikrochips, die aus Kammern und Gängen bestehen, werden beispielsweise menschliche Leberzellen angesiedelt und ein neuer Wirkstoff getestet. Das System funktioniert wie ein Minimensch - der Stoffwechsel sowie eventuell giftige Abbauprodukte können so untersucht und Krankheiten des Menschen simuliert werden. Eine wichtige Rolle beim Verständnis von menschlichen Krankheiten spielt auch die klinische Forschung. Die sorgfältige Beobachtung kranker Menschen liefert wertvolle Informationen, Untersuchungen mittels Computertomographie und Elektrokardiographie ermöglichen eine ethisch unbedenkliche Untersuchung direkt am Menschen. Weiterhin muss sich die Medizin auf die Prävention von Krankheiten konzentrieren. Durch eine gesunde Lebensweise, vor allem durch eine ausgewogene vegetarische oder vegane Ernährung, viel Bewegung und Verzicht auf das Rauchen, könnten zwei Drittel aller Krebsfälle und die Hälfte der Herz-Kreislauf-Erkrankungen verhindert werden.

Tierversuche für Kosmetika sind von vornherein weder sinnvoll noch notwendig. Ihre wissenschaftliche Tauglichkeit wurde nie grundlegend überprüft. Sie dienen vor allem zur rechtlichen Absicherung der Hersteller und gaukeln eine Sicherheit vor, die nicht gegeben ist. Dabei wäre es sehr einfach, gleichzeitig Tiere und Verbraucher/innen zu schützen. Denn zum einen gibt es über 8.000 altbewährte Inhaltsstoffe, mit denen sich ohne Tierversuche beliebig viele Schönheitsmittel herstellen ließen. Zum anderen können tierversuchsfreie Testmethoden eingesetzt werden. Einige Firmen greifen längst auf bewährte inhaltsstoffe zurück und stellen tierversuchsfreie Kosmetik her.

Doch viele Firmen locken mit Innovationen wie der neuesten Anti-Faltencreme mit besonderer Wirkformel, wofür Tiere leiden müssen. Ein großer Teilerfolg ist daher das seit März 2009 geltende EU-weite Verbot der Testung von Kosmetikinhaltsstoffen an Tieren sowie ein Verkaufsverbot solcher Kosmetika. Allerdings gibt es hier mehrere Haken. Bis zum Jahr 2013 dürfen Kosmetik-inhaltsstoffe weiter an Tieren getestet werden, um ihre Langzeit-Wirkungen, mögliche Einflüsse auf die Fortpflanzung und die Entwicklung von Nachkommen sowie auf den Stoffwechsel zu prüfen. Auch das Vermarktungsverbot für die so getesteten Kosmetika gilt erst ab März 2013. Aktuell besteht jedoch die Gefahr, dass diese Frist noch weiter verschoben wird, da einem von der EU in Auftrag gegebenen Bericht zufolge bis dahin nicht genügend tierversuchsfreie Tests zur Verfügung stehen würden. Hinzu kommt, dass zwei weitere Tierversuche zur Testung von Allergie und Krebs auslösenden Wirkungen ebenfalls weiter erlaubt werden sollen, obwohl diese bereits seit März 2009 verboten sind. Um zu verhindern, dass das ohnehin lückenhafte Verbot der Tierqual für die Kosmetik aufgeweicht wird, hat die Europäische Koalition zur Beendigung von Tierversuchen (ECEAE) eine aktuelle Kampagne gestartet: www.nocruelcosmetics.org.

Solange es noch Tierversuche gibt, kann jeder dazu beitragen, Tierversuche zumindest nicht zu unterstützen. So kann man bei der Einnahme von Medikamenten auf sogenannte Generika-Präparate zurückgreifen, also auf Nachahmerprodukte, die die gleiche Zusammensetzung haben wie das Original. Die Patente für Medikamente laufen nach 20 Jähren ab und werden von kleineren Firmen, die selbst nicht forschen, aufgekauft. Generika-Firmen produzieren die Medikamente meist günstiger und ohne erneut Tierversuche durchzuführen. Doch auch das ist nicht die Lösung - denn ein Ende der Tierversuche kann nur durch einen Paradigmenwechsel hin zur rein tierversuchsfreien Forschung erreicht werden. Bei der Auswahl von Kosmetika ist es problemlos möglich, auf Produkte zurückzugreifen, für die keine Tierversuche durchgeführt werden. Unter anderem der Deutsche Tierschutzbund führt eine Liste mit Firmen, die tierversuchfreie Kosmetik anbieten.


Silke Bitz, Diplom-Biologin, Ärzte gegen Tierversuche e.V.

Die Vereinigung Ärzte gegen Tierversuche tritt aus ethischen und wissenschaftlichen Gründen für eine Medizin und Forschung ohne Tierversuche ein.


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Quelle:
natürlich vegetarisch 02/11 - Frühling 2011, S. 20-22
62. Jahrgang
Vegetarierbund Deutschland e.V. (VEBU)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. April 2011